Gipsmodelle für die Erforschung von Singstimmen. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Gipsmodelle für die Erforschung von Singstimmen. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Arien für die Wissenschaft

Was wissen wir über das Singen? Viel zu wenig, findet Matthias Echternach. Deshalb schiebt der Stimmforscher Weltstars der Oper in den Kernspintomografen.

Helga Rietz
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Bevor es mit den Experimenten losgehen kann, muss Matthias Echternach erst einmal Händchen halten. Die Probandin hat angesichts der grossen Magnetspulen des Kernspintomografen und der engen Röhre, in die sie geschoben werden soll, ein Anflug von Klaustrophobie ereilt. Kurzentschlossen legt da der Arzt Jackett und Schuhe, Uhr und Manschettenknöpfe ab – alles Metallische stört das Magnetfeld und darf nicht mit in den MRI-Raum gebracht werden – und reicht seiner Probandin, so gut es eben geht, eine beruhigende Hand. Im Kontrollraum übernimmt die Ärztin Louisa Traser die Regie. Auf dem Smartphone sucht sie mithilfe einer Klavier-App ein paar Töne hervor und summt sich die Übungen vor, die im Protokoll stehen. Über Mikrofon und Lautsprecher kann sie direkt mit der Probandin sprechen.

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«Frau Behle, die erste Aufgabe ist ganz einfach», sagt Traser, «wir möchten Sie bitten, auf dem Vokal A eine Tonleiter nach unten zu singen. Fangen Sie in einer bequemen Lage an und singen Sie so weit runter, wie es geht.»

Sieglinde im Scanner

Am Institut für Musikermedizin in Freiburg im Breisgau ist das keine ungewöhnliche Szene. Echternach erforscht die Physiologie der Singstimme. Seine Werkzeuge sind Hochgeschwindigkeitskameras und Endoskope, mit denen man den Stimmlippen beim Schwingen zuschauen kann; Masken, die, über Mund und Nase gehalten, Druck und Luftstrom im Rachen messen; Geräte, die so wohlklingende Namen haben wie der «Elektroglottograph» und die Kernspintomografie (MRI).

«War ich zu schnell?», will Frau Behle wissen. «Nein, nein, ganz wunderbar», beruhigt Echternach. «Jetzt das Gleiche noch einmal, nur von unten anfangend bis in die maximale Höhe.»

Renate Behle ist eine der ganz grossen Opernsängerinnen unserer Zeit. Ab Mitte der 1980er und bis in die 2000er Jahre sang sie auf den namhaftesten Bühnen der Welt die grossen dramatischen Sopran-Rollen: Leonore, Elektra, Isolde, Sieglinde; die Brünnhilde im «Ring der Nibelungen». Inzwischen ist Behle Ende 60 und tritt weiterhin auf. Noch im Sommer war sie an der Mailänder Scala zu erleben. Echternach sucht in ihrer Stimme Anhaltspunkte für das, was physiologisch eine dramatische Opernstimme ausmacht.

Im Kernspintomografen ist ihre anfängliche Aufregung nach wenigen Tönen verflogen; nun fühlt sie sich hörbar wohl im Scanner. Echternach und Traser tauschen die Plätze, nun darf der Studienleiter selbst die Töne vom Kontrollraum aus angeben. Auf den Bildschirmen dort ist jetzt der Rachen der Sängerin im Querschnitt zu sehen. Vierundzwanzig Aufnahmen pro Sekunde protokollieren das Auf und Ab ihres Kehlkopfs, die Stellung der Zunge, Öffnung und Form von Mundraum und Rachen. Echternach bittet jetzt um lang ausgehaltene Töne, deren Lautstärke an- und wieder abschwellen soll: «Messa di voce», sagen Sänger dazu.

Aufnahmen wie diese ermöglicht erst ein Echtzeit-MRI. Dieses Gerät liefert nicht nur statische Bilder aus dem Körper, sondern ganze Filme. Verleihen Sänger im Scanner ihrer Stimme per Vibrato grosses Volumen, registriert das MRI jedes Beben des Kehlkopfs. Bei Frau Behle allerdings zittert nichts. Trotz Vibrato.

«Wie und wo genau das Vibrato entsteht, ist noch nicht ganz verstanden», erklärt Louisa Traser. Offenbar können Sänger die präzisen Oszillationen der Tonhöhe sowohl mit einer Bewegung des Kehlkopfes als auch nur mit den Stimmlippen hervorrufen.

Die Stimmphysiologie, so viel ist schnell klar, hat derzeit weitaus mehr Fragen als Antworten zu bieten. Etwa die nach den Registern. Die natürliche Singstimme des Menschen klingt nicht in jeder Lage gleich, deshalb unterteilen Gesangslehrer und Stimmphysiologen sie in verschiedene Register. Während die Bruststimme, die für die tieferen Töne zuständig ist, reich und voll tönt und in der Klangfarbe der Sprechstimme des Menschen ähnelt, klingt das darüberliegende Register der Kopfstimme dünn und rein. Bei männlichen Stimmen heisst diese Stimmlage auch Falsett.

Wer Gesangspädagogen fragt, was in Kehlkopf und Rachen beim Registerwechsel eigentlich passiert und wie man erreicht, dass die Stimme in allen Tonhöhen voll und schön klingt, bekommt unterschiedliche, oft einander widersprechende Erklärungen. Echternach rückt dem mit den Mitteln der Wissenschaft zu Leibe. Was beim Registerwechsel im Vokaltrakt passiert, diese Frage steht im Zentrum seiner Forschung.

Gar keine leichte Aufgabe

Deswegen bittet er Behle nun, eine G-Dur-Tonleiter zu singen. Dabei soll sie zwischen dem dritten und dem vierten Ton von der Brust- in die Kopfstimme wechseln. Selbst für eine ausgebildete Sängerin ist das gar keine so einfache Übung. Denn im klassischen Gesang lernen die Sänger, den Übergang zwischen den Registern zu verschleiern. Auf der Bühne soll die Stimme ja nicht wegbrechen, sondern noch in den höchsten Tönen klang- und kraftvoll den Saal füllen.

Erst jahrelanges Üben und die präzise Kontrolle des Stimmorgans lassen die Stimme sowohl in den unteren als auch in den höheren und höchsten Lagen voll und klar erklingen. Es ist diese Technik, die es professionellen Sängern erlaubt, mit der Stimme ein ganzes Orchester zu übertönen.

Dass sie der Forschung zuliebe für einmal Registerbrüche zulassen soll, hatte Behle denn auch nicht erwartet: «Kann ich das überhaupt noch?», fragte sie in der Vorbesprechung.

Echternach, Anfang 40, ist Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Phoniater (also Stimmarzt) und ausgebildeter Sänger. Seine ersten Gesangsstunden bekam er als Kind – und bis heute hat der Gesang einen festen Platz in seinem Leben: Neben seiner Tätigkeit am Universitätsklinikum singt Echternach in professionellen Ensembles und Kammerchören.

So kommt es auch, dass Forscher und Probandin schon gemeinsam auf der Opernbühne standen. Das war 1985 am Staatstheater Hannover, und Renate Behle war noch nicht so berühmt wie jetzt. Echternach sang einen der drei Knaben in Mozarts «Zauberflöte», Behle in derselben Inszenierung die «zweite Dame».

Fast 30 Jahre später schaut der längst erwachsene Knabe gebannt auf die Kernspin-Bilder aus dem Vokaltrakt der damals wie heute von ihm bewunderten Primadonna, während diese seinen Anweisungen folgend immer höhere tonale Sphären erklimmt. Diesmal gleicht sie den Registerwechsel aus, singt mit ihrer Bühnenstimme. Der Übergang von der Brust- zur Kopfstimme ist nicht zu hören.

«Wunderbar, ganz wunderbar», ruft Echternach ins Mikrofon, «wie haben Sie das eben gemacht?»

Bei hohen Tönen hebe sie das Gaumensegel an, erklärt Behle, und gebe zugleich leichten Druck im Unterbauch – mache sozusagen eine Gegenbewegung zu den aufsteigenden Tönen.

Auf dem MRI-Bild ist deutlich das genaue Gegenteil zu sehen: Das Gaumensegel klappt zur Zunge herunter. Echternach lacht. «Die Auflösung verrate ich Ihnen nachher.»

Weltstars als Probanden

Vorher gibt es noch eine Arie: Behle singt «Du bist der Lenz» aus der «Walküre», was, abgesehen davon, dass «Forschung auch Spass machen muss», wie Echternach sagt, mit der Studie nichts zu tun hat. Der Tomograf schreibt mit, im Kontrollraum sind alle Ohren gespitzt.

Das erlebe er oft, sagt Echternach, auf die Diskrepanz zwischen Behles Wahrnehmung und der MRI-Messung angesprochen. Die Empfindungen der Sänger stimmten nicht notwendig mit dem überein, was physiologisch im Vokaltrakt passiere. Schlimm sei das aber nicht, schliesslich gehe es nicht darum, die Probanden zu korrigieren. «Auch wenn wir schon einiges wissen, stehen wir immer noch am Anfang; wir lernen die Stimme gerade erst richtig kennen», betont der Forscher. Zwar lägen die Anfänge der Stimmforschung schon 200 Jahre zurück, doch stünden erst heute Methoden und Messgeräte zur Verfügung, mit denen die Singstimme quantitativ erfasst werden könne: «Nur wenige können eine Stimme so genau analysieren, wie wir das dank unseren technischen Möglichkeiten tun.» Er wolle die Stimmen der besten und erfolgreichsten Sänger analysieren. «Wer sich auf dem Markt behauptet, der macht ja irgendwas richtig», so der Forscher, «und genau das wollen wir abbilden.» Deshalb kämen Laien als Probanden nicht infrage, sagt Echternach – jedenfalls vorerst nicht.

Matthias Echternach stimmt an. (Bild: Goran Basic / NZZ)
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Das ist die Sopranistin Renate Behle, die als Probandin an den Studien von Matthias Echternach teilgenommen hat. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Vorbesprechung: Matthias Echternach singt eine rhythmisch vertrackte Übung aus dem Versuchsprotokoll vor. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Echternach reicht seiner Probandin eine beruhigende Hand in die Röhre - so gut das eben geht. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Auf den Bildschirmen im MRI-Kontrollraum ist Behles Vokaltrakt zu sehen. Jede Bewegung von Mund, Rachen und Kehlkopf wird mitprotokolliert. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Die Stimmgabel ist immer mit dabei. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Aus den MRI-Daten werden die Vokaltrakte der Probanden als hohle Gipsform rekonstruiert. Am Modell lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse überprüfen. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Diese Gipsform sticht unter den Vielen hervor; sie zeigt den Vokaltrakt einer Sopranistin, die gerade ein dreigestrichenes singt. Der Rachenraum ist deutlich enger als bei den anderen Stimmen. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Die schnellen Vibrationen von Behles Stimmlippen macht ein Laryngoskop sichtbar. Dazu wird ein Endoskop mit Licht durch die Nase auf den Kehlkopf gerichtet. Das Halsband misst über zwei Elektroden gleichzeitig den elektrischen Widerstand des Kehlkopfs. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Zuletzt wird Behles Stimme mit einer speziellen Maske untersucht. Darin sind Sensoren untergebracht, die Luftstrom, Druck und Audiosignal aufzeichnen. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Aus den vielen aufgezeichneten Daten wird Echternach später die Stimme von Renate Behle rekonstruieren. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Messelektronik für die Luftstrommessung. (Bild: Goran Basic / NZZ)
Stimmarzt, Forscher und Sänger: Matthias Echternach (mit einem Gipsmodell seines eigenen Vokaltrakts). (Bild: Goran Basic / NZZ)

Matthias Echternach stimmt an. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Zwangsläufig ist das ein Forschungsfeld, auf dem die Statistiken nur langsam wachsen. Sängerinnen, die die Königin der Nacht geben können, gibt es nicht wie Sand am Meer; solche wie Renate Behle, die mit den dramatischen Wagner-Partien brillieren, erst recht nicht. Gerade die drei Brünnhilde-Partien im «Ring der Nibelungen» gehören zum Schwierigsten, was die Opernliteratur zu bieten hat. Nur zwölf bis fünfzehn Sängerinnen weltweit würden die drei Partien zusammen überhaupt schaffen, sagt Echternach; für Spitzenhäuser wie die Met in New York oder die Mailänder Scala verenge sich der elitäre Zirkel auf eine Handvoll Sopranistinnen. Entsprechend kommen Echternachs Studien an professionellen Opernsängern jeweils mit zehn oder weniger Probanden aus; bei Pilotstudien sind es meist nur zwei bis vier.

Auch Stimmforscher sind dünn gesät. Weltweit setzt nur eine Handvoll Institute auf diesem Gebiet dynamische Kernspintomografien ein. Er profitiere vom Goodwill der neuroradiologischen Uniklinik, sagt Echternach. Hinzu kommt die Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Mit deren Geldern haben die Freiburger Forscher das wahrscheinlich schnellste Laryngoskop der Welt aufgebaut. Seinen Namen hat es aus dem Griechischen: «larynx» ist der Kehlkopf, «skopein» bedeutet betrachten.

Herzstück ist eine Kamera, die ursprünglich für die Crash-Tests der Autoindustrie entwickelt wurde. Bei optimalen Lichtverhältnissen schafft sie eine Million Bilder pro Sekunde. «Ein Luxusliner», sagt Echternach.

Damit kann der Forscher im Kehlkopf seiner Probandin in Zeitlupe beobachten, was im Kernspintomografen unsichtbar bleibt: die schnellen Schwingungen der Stimmlippen, die beim Singen und Sprechen die Schallwellen erzeugen. Dafür reichen dem Forscher «nur» 20 000 Bilder pro Sekunde – schliesslich ist der menschliche Rachen schwerlich optimal auszuleuchten.

Auf das Objektiv der Kamera haben die Forscher vom Institut für Musikermedizin ein flexibles Endoskop montiert, das Echternach nun vorsichtig in Frau Behles Nasenloch schiebt. Oben an der Nasenwurzel biegt das Endoskop ab Richtung Kehlkopf.

«Zuerst auf I», sagt Echternach, «dann kitzelt es weniger am Gaumen.»

Dann singt er die nächste Aufgabe vor: langgezogene Juchzer, die in mittlerer Lage beginnen und in die Höhe «glissandieren», also stufenlos nach oben rutschen. Letzte Kontrolle der Endoskop-Position.

«Entspannen Sie sich, so gut es geht.» Behle juchzt, die Übung dauert keine zehn Sekunden. Dann müssen 186 000 Bilder von der Kamera auf den Computer überspielt werden. Das dauert neun Minuten. Das Endoskop kann erst einmal raus. Frau Behle reibt sich die Nasenflügel.

Erst dieses Kamerasystem, sagt Echternach, habe die Beobachtung der Stimmlippenschwingungen in den höchsten Sopranlagen ermöglicht. Etwa die teuflisch hohen Koloraturen, die Mozart seiner Königin der Nacht ins Notenheft schrieb: Die Partie reicht bis zum dreigestrichenen F hinauf. Die zugehörige Schallwelle hat 1397 Schwingungen pro Sekunde. 1397 Mal pro Sekunde müssen sich die Stimmlippen der Sopranistin öffnen und schliessen, um diesen besonders hohen Ton zu erzeugen.

Mindestens zehnmal so viele Bilder muss die Kamera des Laryngoskops pro Sekunde machen, um derart schnelle Schwingungen in Zeitlupe sauber sichtbar zu machen. Das kann nur der Luxusliner.

Die zweite und dritte Übung ist wie die erste, nur wird jetzt auf U und dann auf A gejuchzt. Endoskop einfädeln, Frau Behle juchzt, Endoskop raus. 186 000 Bilder übertragen. Frau Behle schnieft ein bisschen und reibt sich die Nasenflügel. Schlimm sei es nicht, versichert sie. Nur das Kitzeln am Gaumen, das sei schon unangenehm.

Oberhalb des dreigestrichenen C – das entspricht 1046 Hertz und liegt in einem Bereich, den Laien kaum je erreichen – wechseln Sopranistinnen ins Pfeifregister. Laut weitläufiger Lehrmeinung öffnen und schliessen sich die Stimmlippen in diesem Register nicht mehr. Vielmehr entstünden die hohen Töne – so nahm man bis vor kurzem an –, indem Luft kontinuierlich durch die Stimmritze strömt – ähnlich wie bei einer Flöte. Echternach konnte 2012 zeigen, dass dies nicht stimmt: Sechs Sopranistinnen habe er inzwischen daraufhin untersucht, sagt er, und bei allen gesehen, dass die Stimmlippen auch im Pfeifregister noch schwingen – und das bis hinauf zu 1568 Hertz. Im Oktober bekam Echternach für diese Arbeit den «European Phoniatrics Voice Award».

Trompetenstimmen

Ganz so hoch hinaus geht es heute nicht, jedenfalls nicht tonal. Die letzte Untersuchung erweist sich als die harmloseste: Frau Behle singt in eine Maske, die über Mund und Nase gehalten wird. Sensoren darin messen den Luftdruck und Luftstrom beim Singen, ein Mikrofon zeichnet das Audiosignal auf. Echternach summt ein d' vor, Behle singt: «Pa, pa, pa, pa . . .» Das Gleiche dann noch einmal in höheren Tonlagen.

Ein Halsband mit Elektroden misst gleichzeitig den elektrischen Widerstand von Behles Kehlkopf. Geschlossene Stimmlippen leiten elektrischen Strom besser als geöffnete, deshalb lässt sich aus den Messungen des Widerstands, dem «Elektroglottogramm», ablesen, ob sich die Stimmlippen gleichmässig öffnen und schliessen. Und ob sie das bei jedem Schwingungszyklus vollständig tun – ist das nicht der Fall, klingt der Ton verhaucht.

Dann ist wieder der Übergang zwischen Brust- und Kopfstimme dran: «Pa-ah – pi-ih – pä-äh – pu-uh», singt Behle und lässt den Ton jeweils in das fistelige Kopfregister wegbrechen. Damit endet das Forschungsprogramm für heute. Der Stimmforscher ist zufrieden.

In den darauffolgenden Wochen und Monaten wird Echternach aus all den Daten Renate Behles Stimme rekonstruieren. Elektroglottographie und die Messung mit der Maske geben Aufschluss über die Frequenzen, die die Stimmlippen erzeugen; die Aufnahmen aus dem Kernspintomografen liefern die genaue Form ihres Vokaltrakts bei verschiedenen Tonhöhen und Vokalen. Erst beides zusammen gibt der Stimme ihre charakteristische Klangfarbe.

Technisch betrachtet, funktioniert das Instrument Stimme wie eine Trompete: Hier wie dort erzeugen vibrierende (Stimm-)Lippen die Schallwellen, also einen gleichmässig pulsierenden Luftstrom, dessen Grundfrequenz die Tonhöhe bestimmt. Neben dem Grundton schwingen stets zahlreiche Obertöne mit. Deren Intensität bestimmt die Klangfarbe, beim Singen auch den Vokal. Das geschieht in den Hohlräumen – oder, technisch gesprochen, Resonatoren –, welche die Schallwellen im Vokaltrakt durchlaufen. Dort werden bestimmte Obertöne verstärkt, andere unterdrückt.

In Echternachs Büro kann man das wie im Baukasten nachspielen. Dort liegen säuberlich aufgereiht die Stimmen seiner Probanden, anhand von MRI-Daten mit dem 3-D-Drucker aus Gips nachgebaut. Ein bisschen morbid sieht das aus, weil man an den hohlen Gipsformen noch Lippen, Zähne und Zunge erkennt, der wulstige Rachen dahinter aber fremd wirkt. Das dreigestrichene F einer Koloratursopranistin sticht in der Sammlung hervor: Strohhalmdünn hat sie ihren Rachen gemacht, um ihrer Stimme in der extremen Höhe Klang zu verleihen.

Dort wo im Vorbild aus Fleisch und Blut der Kehlkopf sitzt, haben die Gipsmodelle ein kleines Loch. Hier lassen sich die Schwingungen der Stimmlippen simulieren: Eine kleine Lautsprechermembran erzeugt das genaue Frequenzspektrum. So werden die aus den gesammelten Daten gewonnenen Erkenntnisse noch einmal im physikalischen Modell überprüft.

Ginge es nach Echternach, würden die Erkenntnisse aus seiner Forschung bald in die Gesangspädagogik einfliessen – wenngleich der Fokus momentan auf der medizinischen Betreuung professioneller Sänger liegt. Eines der nächsten Projekte soll etwa Stimmlippenverdickungen gewidmet sein, die vor allem bei professionellen Sopranistinnen auftreten und die den Sängerinnen zuweilen schlimme Beschwerden bereiten.

Seine eigene Gesangstechnik habe er im Lauf seiner Forschungsarbeiten jedenfalls schon grundlegend geändert und dadurch Techniken trainiert, die ihm das Singen leichter machten, sagt der Arzt und Wissenschafter: «Meinem eigenen Singen hat die Wissenschaft also tatsächlich etwas gebracht.»

Den Tönen eine Seele geben

Das sehen nicht alle so. Renate Behle sagt unumwunden, das Wissen über die Physiologie der Stimme helfe ihr beim Singen nicht: «Ich kann doch auf der Bühne nicht überlegen, welchen Muskel ich als Nächstes betätigen soll», so die Sängerin, die sich als Professorin an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg selbst intensiv mit Stimmphysiologie beschäftigt hat.

Auch dass die von ihr empfundene Veränderung im Vokaltrakt nicht mit der im Kernspintomografen gemessenen übereinstimmte, lässt Behle unbeeindruckt. Ganz bewusst macht die erfahrene Sängerin sich während des Singens keine Vorstellung von dem, was im Rachen vor sich geht. Neben dem technischen Vermögen seien Farben, der Ausdruck von Emotionen ebenso wichtig, sagt Behle: «Ich nenne das ‹den Tönen eine Seele geben›!»

Und überhaupt: Das Wesentliche am Gesang, das seien doch die Emotionen und die Sinne, betont die Sängerin. Da mag auch der Wissenschafter nicht widersprechen.

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