Der sanfte Riese aus Hayrabolu
Hannovers Tayfun Korkut ist erst der zweite Bundesligatrainer mit türkischen Wurzeln. Vor über 35 Jahren saß Özcan Arkoc auf der Bank des HSV – glücklich wurde er dort nicht.

Mit einem Fehler fing es an. Als Özcan Arkoc im Sommer 1964 an der österreichischen Grenze stand, fragten die Beamten nach seinem Namen. Wie er es aus seiner Heimat kannte, stellte er sich mit dem Vornamen vor: „Hallo, ich bin Özcan“, sagte er, und die österreichischen Beamten nahmen an, dass es sich um seinen Nachnahmen handelt. Jahrzehntelang hieß Özcan Arkoc also: Arkoc Özcan. Der Fehler fiel erst vor ein paar Monaten auf, als die „Hamburger Morgenpost“ eine Geschichte über den ehemaligen Torhüter und Trainer veröffentlichte.
„Ich fand das nicht so schlimm“, sagt Arkoc heute. Sowieso hat der Mann sich nie sonderlich den Kopf zerbrochen über das, was andere über ihn sagten. Er hat sich mit den Dingen arrangiert und mit einer buddhistischen Geduld die Hysterie des Fußballs ertragen. 1975 etwa, als Rudi Kargus ihn im Tor verdrängte, auch 1978, als HSV-Präsident Dr. Peter Krohn immer wieder in der Kabine auftauchte und die Mannschaftsaufstellungen diktierte, oder 1979, als er innerhalb weniger Monate sowohl bei Holstein Kiel als auch bei Wormatia Worms entlassen wurde. Arkoc machte einfach weiter. In den letzten Jahren war er als selbständiger Kurierdienstfahrer in Hamburg tätig – weder als Özcan Arkoc noch als Arkoc Özcan. „Für meine Kunden war ich immer der Ötschi“, sagt er.
Arkoc ist ein stolzer Mann, 74 Jahre alt, dicke Brillengläser, Gehstock, sanfte Gesichtszüge und sonore Erzählstimme. Ein Hüne zudem, mit Händen so groß, dass Suppenschüsseln aussehen wie Cappuccino-Becher. In der Türkei war er in den sechziger und siebziger Jahren eine große Nummer gewesen. Er wuchs auf in Hayrabolu, einer kleinen Stadt in der türkischen Provinz Ostthrakien, und machte über 150 Spiele für Besiktas und Fenerbahce.
Der Mann, der das Netz kaputtschoss
Mit Fener gewann er zweimal die türkische Meisterschaft, er war dabei, als die erste Milli- und die erste Süper-Lig-Saison gespielt wurde, er stand im Tor bei Europapokalschlachten und Länderspielen. Doch bekannt ist er heute in der Türkei vor allem wegen eines Gegentores. Galatasarays Metin Oktay schoss es im Hinspiel des Meisterschaftsfinales 1959. Der Stürmer zimmerte den Ball damals mit einer solchen Wucht aufs Tor, dass er ein Loch ins Netz schoss. Seitdem kennt man ihn unter dem Namen „Der Mann, der das Netz kaputt schoss“ – und Arkoc als den Mann, der dabei im Tor stand. Doch Arkoc machte sich auch daraus nicht viel. „Wir haben ja das Rückspiel mit 4:0 gewonnen“, sagt er.
Über Austria Wien war Arkoc 1967 in Hamburg gelandet. Er blieb sieben Jahre Stammtorhüter, spielte neben Uwe Seeler, Charly Dörfel, Manni Kaltz und Willi Schulz. 1968 erreichte er das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger gegen den AC Mailand. In vielen Quellen wird behauptet, dass Arkoc der erste Türke im deutschen Fußball gewesen sei.
Erster türkischer Bundesligaspieler?
„Noch so ein Fehler“, sagt er. Tatsächlich war der Türke Coskun Tas bereits ab 1959 für den 1. FC Köln aktiv und Aykut Ümnyazici stand zwischen 1958 und 1965 bei Eintracht Braunschweig unter Vertrag. Allerdings spielte Tas nie in der Bundesliga, und Ümnyazici war zwar Teil der Bundesligamannschaft, doch bis zuletzt Vertragsamateur. Somit kann man Arkoc als ersten türkischen Vollprofi im deutschen Fußball bezeichnen. Oder nicht?
„Tja“, sagt Arkoc. „Das stimmt dann wohl.“
Was auch stimmt: Arkoc war der erste türkische Trainer in der Bundesliga. Großen Erfolg hatte er allerdings nicht. Dabei ging es gut los: 1977 gewann der HSV gegen den RSC Anderlecht den Europapokal der Pokalsieger. Arkoc war damals noch Co-Trainer von Kuno Klötzer. Der Mann im Hintergrund, mit einem guten Draht zu den Spielern, schließlich hatte er mit den meisten selbst noch zusammengespielt.
Klötzer musste trotz des Europacup-Triumphs nach der Saison 1976/77 gehen, und kurz darauf feuerte der exzentrische HSV-Präsident Dr. Peter Krohn auch den erfolglosen Rudi Gutendorf. Es war die Stunde des Özcan Arkoc. Plötzlich stand er im Rampenlicht, auf einem unbekannten Terrain voller Falltüren und Ellenbogen. Plötzlich musste er Interviews geben, sein Familienleben präsentieren, seine Taktiken erläutern, Niederlagen und Siege erklären. Derweil kämpfte er auf einem Nebenschauplatz gegen seinen Vorgänger, denn Gutendorf warf ihm vor, die Spieler gegen ihn aufgehetzt zu haben.
In der Hamburger Presse war von Beginn an zu lesen, dass Arkoc nur eine Art „Notlösung“ darstelle, und beinahe wöchentlich wurde ein HSV-Verantwortlicher zitiert, dass man spätestens im Sommer 1978 die Trainerrolle überdenken wolle.
Arkoc sagte manchmal: „Lasst mich doch wenigstens bis dahin in Ruhe arbeiten.“ Oft sagte er aber nichts.
Kein harter Hund
Krohn sehnte sich nach einem richtig dicken Trainer-Fisch, der zum Star-Ensemble um Kevin Keegan und Manni Kaltz passte. Einer wie Arkoc, bei den Spielern außerordentlich beliebt, war kein Weltname und kein harter Hund . „Der muss mal richtig durchgreifen“, tobte Krohn damals. „Was hätte ich tun sollen?“, fragt Arkoc heute. „Ich bin nun mal, wie ich bin.“
Nach nur acht Siegen in 22 Spielen wurde Arkoc entlassen. Es kam Branko Zebec, die Antithese zu Arkoc, ein Coach mit brutalen Trainingsmethoden. Bei Laufeinheiten füllte er gerne seine komplette Hand mit Kies und setzte die Steinchen als Rundenzähler ein. Erst wenn seine Hand leer war, beendete er das Training. Arkoc kennt die Geschichten. „Kann man das kritisieren?“, fragt er. „Zebec hatte doch Erfolg.“ Tatsächlich legte der Jugoslawe den Grundstein für die goldenen Jahre des Klubs. Er führte die Mannschaft zur Meisterschaft 1979 und ein Jahr später ins Finale des Landesmeistercups. Vielleicht wäre er ohne Arkoc nie geholt worden.