SPIEGEL Gespräch »Plump? - Das hat mich gekränkt«
SPIEGEL: Herr Kujau, mal ehrlich: Was hatten Sie selber gerechnet, wie lange es dauern würde, bis der ganze Schwindel mit Ihren Hitler-Tagebüchern auffliegt?
KUJAU: Vom Zeitpunkt der »Stern« -Veröffentlichung an acht Tage. Länger hielt''s ja auch wirklich kaum.
SPIEGEL: BiÃchen kurz für soviel Arbeit an 60 Bänden - finden Sie nicht?
KUJAU: Finde ich auch. Aber mit mehr habe ich selber nicht gerechnet. Ich habe ja die Tagebücher nicht unter der Voraussetzung geschrieben, daà sie im »Stern« erscheinen. Vielleicht hätte ich sie auch geschrieben, wenn Heidemann klipp und klar gesagt hätte, die sind für den »Stern«. Aber mir hat er erklärt, es ginge um Martin Bormann. Der sei noch am Leben, er telephoniere gelegentlich mit ihm. Heidemann wollte ihn in der Schweiz der Weltöffentlichkeit präsentieren. Dabei sollten dann die Tagebücher als Mitbringsel auf dem Tisch liegen, aber die Presse würde sich auf Bormann stürzen. Die Tagebücher seien dabei nur eine Zutat.
SPIEGEL: Angenommen, sie gälten heute noch als echt und niemand wüÃte von Ihrem Werk, wären Sie nicht ein biÃchen enttäuscht, so ganz ohne Anerkennung Ihrer Leistung?
KUJAU: Nein, ich glaube kaum.
SPIEGEL: Erst das Offenbarwerden der Fälschung rückt doch das Werk des Fälschers ins volle Licht.
KUJAU: Ich habe ja mein Honorar bekommen.
SPIEGEL: Bei der Fälschung der Mussolini-Tagebücher ...
KUJAU: ... Ich weiÃ, aus der Feder dieser beiden italienischen Damen ...
SPIEGEL: . . . lief das offenbar anders. Die Experten in Rom hatten immer gesagt, die Dinger sind echt. Das konnten die Damen gar nicht verwinden. Keiner spricht von uns, klagten sie, und dabei haben wir uns doch soviel Mühe gemacht. SchlieÃlich haben sie sich selber an die Ãffentlichkeit gewandt und gesagt, der Duce waren wir.
KUJAU: Vielleicht hätte ich das über kurz oder lang doch auch so empfunden.
SPIEGEL: Zur Präsentation Ihrer Hitler-Tagebücher bei Gruner + Jahr gab es an der Alster eine groÃe internationale Pressekonferenz, mit Film und Fernsehen. Haben Sie in der Tagesschau alles mitverfolgt?
KUJAU: Nein, ich habe es nicht gesehen. Man hat mir am Telephon davon erzählt, als erste Frau Heidemann, ihr Mann dann in der Nacht darauf. Bekannte haben mir alles berichtet.
SPIEGEL: Hat es Sie nicht gereizt, selber zur Pressekonferenz nach Hamburg zu kommen? Mit Ihren Talenten hätten Sie sich doch einen Presseausweis - sagen wir vom »Schwarzwälder Boten« - ausstellen können, hätten sich in die letzte Reihe gesetzt und Rumpelstilzchen gespielt.
KUJAU: Ich habe erst drei Tage vorher erfahren, daà die Dinger im »Stern« erscheinen, und durfte gar nicht mehr nach Hamburg fahren. Heidemann hatte mir das befohlen. Als dort die groÃe Schau lief, war ich in meiner Sammlung. Ich glaube, ich habe die Vitrinen geputzt.
SPIEGEL: Aber als Sie dann am Montag in der »Stern«-Ausgabe lesen konnten, »die Geschichte des Dritten Reiches wird in groÃen Teilen neu geschrieben werden müssen« . . .
KUJAU: . . . da habe ich still vor mich hingelächelt.
SPIEGEL: Haben Sie sich das so leicht vorgestellt, einen groÃen Medienkonzern aufs Kreuz zu legen?
KUJAU: Das habe ich nicht geglaubt. Ich kann es heute noch kaum glauben. Es war nur so leicht, weil es um Hitler ging. Angenommen, ich hätte Liebesbriefe von Napoleon geschrieben, da wären alle skeptischer gewesen.
SPIEGEL: Haben Sie dann zwei Tage später die ZDF-Diskussion mitverfolgt, bei der »Stern«-Chefredakteur Peter Koch die zweifelnden Historiker noch als Dummköpfe und Neider hinstellte ...
KUJAU: . . . das habe ich mir natürlich angesehen. Ich hatte den Eindruck, der Mann nimmt das Maul ziemlich voll. Ich habe sonst keine schweiÃigen Hände, aber da habe ich mit nassen Fingern dabeigesessen.
SPIEGEL: Angst oder Autorenstolz?
KUJAU: Ich war fassungslos. Einer der Experten hat während der Diskussion geäuÃert, er könnte sich denken, aus welcher Ecke diese Bücher kämen. Das war Professor Jäckel. Ein Moderator sagte dann - ich habe das heute noch im Ohr -, es wird doch jetzt nicht einer hier im Studio anrufen und sagen, ich habe die Bücher geschrieben.
SPIEGEL: Hat es Sie gereizt?
KUJAU: Und ob es mich gereizt hat. Aber wenn ich angerufen hätte, wäre ich wahrscheinlich als Spinner abgetan worden, der sich wichtig tut. Es hat mich vor Lachen vom Stuhl gerissen. Speziell dieses Bonmot, die Geschichte des Dritten Reiches müsse neu geschrieben werden. Ich hatte doch fast jede Zeile im Kopf, die ich da reingeschrieben habe. Normalerweise sind die Bücher nichtssagend, glauben Sie mir das.
SPIEGEL: Wir wissen es. Das hat man Ihnen ja auch vorgehalten...
KUJAU: . . . es hätte alles noch viel schneller platzen können. Der »Stern« hätte nur den HeÃ-Sohn einweihen und ihn bitten sollen, beim nächsten Besuch des Vaters mal anzufragen. Dann hätte die Redaktion nach zwei, drei Bänden, die Heidemann ihnen angeschleppt hat, wissen müssen: Die Bücher hat Hitler nicht geschrieben.
SPIEGEL: Weshalb sollte Heà das sofort erkennen?
KUJAU: Weil ich da auf die Kladde doch einen Zettel drangepappt habe mit »HeÃ, diese Bücher bleiben unter Verschluë. Da hätte man sich beim »Stern« sagen müssen, prüfen wir doch mal nach. Heà soll geistig noch sehr rege sein. Er soll zu seinem Sohn gesagt haben: Ich wuÃte sofort, die Bücher sind falsch.
SPIEGEL: Wenn alles nur eine Frage der Zeit war, wann der ganze Schwindel auffliegt, liegt es eigentlich nahe, daà Sie für den Moment der Aufdeckung auch eine Art Generalstabsplan hatten.
KUJAU: Das ist schon richtig, aber da ich gar nicht wuÃte, daà die Bücher für den »Stern« sind, hatte ich keinen.
SPIEGEL: Als die ganze Sache geplatzt war, haben Heidemann und Sie reagiert wie aufgeschreckte Hühner. Da gab es hektische Telephongespräche und Reisen nach Bayern, in die Schweiz, nach Ãsterreich und angeblich auch nach Prag. Ein groÃes Verwirrspiel - warum eigentlich? Wollten Sie noch was wegschaffen?
KUJAU: Ach wo. So groà war das Durcheinander gar nicht. Heidemann rief mich am 6. Mai an und sagte: Verschwinde, sechs Leute vom »Stern« suchen dich. Mir ging es um meine Lebensgefährtin. Die wuÃte von nichts. Da muÃte ich ihr beibringen, daà wir schnell mal Urlaub machen wollen.
SPIEGEL: Sie haben Ihre Urheberschaft an den Tagebüchern erst einmal abgestritten - warum?
KUJAU: Als Staatsanwalt Klein am Freitag, dem 13. Mai, bei mir zu Hause in Stuttgart alles durchsuchte, habe ich ihn aus Ãsterreich dort angerufen - der fiel aus allen Wolken - und ihm klipp und klar gesagt: Herr Staatsanwalt, morgen früh stelle ich mich. Ich konnte ja im Fernsehen mitansehen, wie man mein eigenes Haus gestürmt hatte. Da stand für mich eigentlich schon fest zu sagen, gut, ich habe die Bücher geschrieben. Bekannte haben mir angeraten, man würde mich gleich in die rechte Ecke drängen, und so habe ich erst mal testen wollen, was läuft. SchlieÃlich habe ich einsehen müssen, es hat keinen Zweck, sie haben meine Zeugnisse da - Zeichnen eine Eins, dort eine Eins -, ich konnte ja nichts wegräumen im Haus.
SPIEGEL: Oder hat Sie doch die Eitelkeit gepackt ...
KUJAU:... nee, eigentlich nicht. Ich habe immer noch geglaubt, wenn ich jetzt zugebe, ich habe die Schwarten geschrieben, dann ist es erst mal ausgestanden. Aber der Staatsanwalt dachte, ich würde gleich noch sagen, wo der Koffer mit den neun Millionen steht. Doch das konnte ich ihm nicht sagen.
SPIEGEL: Sagen Sie''s uns doch.
KUJAU: Ich hab'' die nicht. Es existiert kein Geld.
SPIEGEL: Irgendwo muà es schlieÃlich geblieben sein. Der »Stern« hat ja neun Millionen flieÃen lassen.
KUJAU: Das frage ich mich selber. Ich habe mich hier in der Zelle hingesetzt und gerechnet, da komme ich sogar auf 13 Millionen.
SPIEGEL: Mag sein, jedenfalls acht sind perdu. Nach den Angaben von Heidemann müÃten Sie vier oder fünf Millionen von dem Reibach abbekommen haben ...
KUJAU: ... wenn ich es gehabt hätte, wäre ich weg gewesen.
SPIEGEL: Als die groÃe Weltsensation platzte, hatte Hitler-Kujau sein Tagebuch noch nicht mal zu Ende geführt. Die letzten zwölf Tage - vom 19. bis 30. April 1945, dem Todestag Hitlers - fehlten noch.
KUJAU: Das ging ja nicht anders. Wenn das Flugzeug am 21. gestartet und in Börnersdorf abgestürzt ist, kann ja in der Maschine nicht das Tagebuch gewesen sein, was Hitler bis zum 30. geschrieben hat. Das habe ich jetzt hier in der Zelle weitergeschrieben, bis zu Hitlers Ende. Haben Sie es schon gelesen?
SPIEGEL: Natürlich. Es kostet ja heute nicht mehr Millionen, an Kujaus Texte heranzukommen.
KUJAU: Ich habe es eigentlich nur geschrieben, weil der Herr Staatsanwalt immer gemeint hat, die Tagebücher haben Sie nicht alleine ausgearbeitet. Da hab'' ich mir gesagt, jetzt werde ich ihm mal die letzten Tage Hitlers ganz realistisch schildern. Unterlagen hatte ich hier nicht, brauche ich auch keine, das habe ich alles im Gehirn.
SPIEGEL: Wenn man Ihre letzten Hitler-Tage liest, hat man den Eindruck, es muà ihm vor seinem Tod wieder recht gut gegangen sein. Vorher lief seine Schrift immer so bergab. Aber in seinen letzten Tagen hat man das Gefühl, der Führer hat sich wieder berappelt.
KUJAU: Wenn ich die Schrift der letzten Tage, die der »Stern« hat, so weiter geschrieben hätte, dann hätte man nichts mehr lesen können - ich selber auch nicht.
SPIEGEL: In diesen Texten über die letzten Tage heiÃt es unter dem 27. April: »Eva hat die meiste Angst, daà wir den rechten Zeitpunkt verpassen; die Russen würden uns bestimmt nach Moskau in den Zoo schaffen und uns dort in einem Käfig zur Schau stellen.« Und am Todestag Hitlers: »Frau Goebbels bat um mein Parteiabzeichen. Als ich ging, trug sie es am Kleid.« Wo haben Sie das alles her?
KUJAU: Das habe ich von Kempka, Hitlers Fahrer, das stimmt. Die groÃe Angst hatte Hitler schon immer. Erst mal davor, daà es ihm genauso geht wie Mussolini mit der Clara - aufgehängt an den FüÃen, getreten und angespuckt. Und dann hatte er schon lange, also seit die Goebbels-Kinder im Bunker waren, mit Frau Goebbels darüber gesprochen, daà man auch die Kinder wahrscheinlich in Moskau im Zoologischen Garten ausstellen würde - alles verbürgt.
SPIEGEL: Sie wollten doch auch noch von Hitlers »Mein Kampf« einen dritten Band liefern. Darf die Nachwelt da noch hoffen?
KUJAU: Wenn ich nicht bis zum 50. Lebensjahr einsitzen muÃ: ja. Jetzt bin ich 45. Hier drin verliere ich den Geist. Aber der dritte Band »Mein Kampf« wird geschrieben.
SPIEGEL: Wie ist das mit der Hitler-Oper »Wieland der Schmied«? Heidemann wollte das auch noch dem »Stern« andienen.
KUJAU: Da müÃte ich erst mal Noten lernen.
»Wieland der Schmied«, das ist ein Witz. Die Oper hätte ich auch nicht schreiben können. Dieser alte Kneisel in München ...
SPIEGEL: ... wer?
KUJAU: Professor Priesack, NS -Archivar und Historiker, alles fixe Ideen von diesem Mann. Wir waren bei ihm am Tisch, da hat er plötzlich erklärt: »Wieland der Schmied« ist die Oper, die haben Hitler und sein Schulfreund August Kubizek geschrieben.
SPIEGEL: Gibt es dafür irgendeinen Beleg, oder ist das alles Quatsch?
KUJAU: Ach, Hitler hat zwei Aquarelle gemalt, das war das Bühnenbild. Und dann hatte er doch beim Professor Roller, das war ein Bühnenbildner, ein biÃchen Unterricht gekriegt, weil er sich gerne Studiosus nannte. Das hat Priesack ins Extrem getrieben, Hitler habe eine Oper geschrieben, und die heiÃe »Wieland der Schmied«. Ich habe ihm gesagt, das haben Sie in einem Buch gelesen, das kommt von dem Historiker Maser, und Maser weià auch nicht, wie er darauf gekommen ist.
SPIEGEL: War es dann nicht etwas gewagt von Ihnen, Heidemann zu versprechen: Ich liefere die Oper?
KUJAU: Ich hab'' das ja auch nicht gesagt. Ich vermute, Heidemann hat die Oper schon lange irgendwo in Auftrag gegeben - jedenfalls nicht bei mir.
SPIEGEL: Woran arbeitet der Meister jetzt - von Hindenburg ist die Rede ...
KUJAU: ... nein, nein. Wissen Sie, Hindenburg hatte eine unheimlich zittrige Handschrift; er war ja auch alt. Ich habe von Hindenburg einen Generalshelm in meiner Sammlung und einige andere Stücke aus seinem Besitz. Dazu hab'' ich mir eine Urkunde gemacht. Die steht bei mir in der Vitrine.
SPIEGEL: In Hindenburgs Schrift?
KUJAU: Ja - und mit Letraset.
SPIEGEL: Herrn Klein, den Staatsanwalt in Ihrer Sache, haben Sie, wie wir hörten, inzwischen befördert - in der Schrift der Hamburger Justizsenatorin?
KUJAU: Während des Verhörs, als ich zugab, daà ich die Tagebücher selber geschrieben habe, glaubte man, jetzt fängt Kujau an zu kritzeln und jeden Buchstaben zu malen. Man brachte mir Papier und Federhalter, und ich schrieb zügig einige Sachen runter. Als Herr Klein aus dem Zimmer gegangen war, kam einer der Beamten und wollte gleich eine Beförderung für Herrn Klein zum Oberstaatsanwalt. Selbstverständlich habe ich ihn - in Hitlers Schrift - befördert.
SPIEGEL: Napoleon? Wilhelm II.?
KUJAU: Napoleon habe ich zwei Briefe geschrieben, Wilhelm II. vielleicht fünf, sechs Unterschriften gemacht.
SPIEGEL: Sie haben auch gemalt?
KUJAU: Ja. Rubens und Gauguin, den male ich sehr gern, weil er sehr schwer zu malen ist, obwohl es einfach aussieht, die Farbzusammenstellung. Er hat ja die Farben in einem Rhythmus gemalt. Die Ãlstudien von Rubens hängen weiter in Stuttgart, alle von mir signiert. Derzeit zeichne ich Karikaturen.
SPIEGEL: Stimmt es, daà Sie dem Militaria-Händler Fritz Stiefel seit 1978 insgesamt etwa 200 gefälschte Handschriften Hitlers angedient haben?
KUJAU: 200 kann er gar nicht haben ...
SPIEGEL: . .. angeblich für 180 000 Mark.
KUJAU: Das gehört zu der Geschichte, die ich jetzt mit dem Finanzamt durchmache, weil die mir alles weggenommen haben. Die sagen, ich hätte Millionen Steuerschulden, die ich aber gar nicht haben kann. Die 180 000 Mark habe ich von Stiefel für einen Ringtausch bekommen. Für die Schriften hat er nur Ãrmelstreifen der SS geliefert - die sind auch alle falsch.
SPIEGEL: Heidemann hat dem »Stern« in Aussicht gestellt, er würde noch 300 Ãlbilder und Aquarelle von Hitler, ein Buch Hitlers über die Frau, Akten über seinen angeblichen Sohn in Frankreich sowie Hitler-Bücher über Friedrich den GroÃen und König Ludwig II. von Bayern anliefern. Wollten Sie den ganzen Plunder noch aushecken?
KUJAU: Von den Ãlbildern und Aquarellen war ein Teil bestellt, einen Teil hat er von mir geschenkt bekommen, einen anderen Teil hat er woanders gekauft. Hitlers Buch über die Frau hat er auch bei mir bestellt. Die Geschichte über den angeblichen Hitler-Sohn in Frankreich kam nicht von mir, höchstwahrscheinlich von Maser. Friedrich II. und König Ludwig II. hat er bei mir für später bestellt. Auch noch weitere Arbeiten: zum Beispiel »Die Abrechnung«, die habe ich auch schon immer in die Tagebücher eingeflochten. Ab 1941, glaube ich, steht schon drin, Hitler arbeite an der »Abrechnung« nach dem Endsieg. Die hat er auch bei mir bestellt.
SPIEGEL: Nötig hatten Sie doch die ganze Fälscherei nicht. Es ging Ihnen glänzend, Ihr Gebäudereinigungs-Betrieb hatte schon 1970 etwa 1,8 Millionen Umsatz gemacht, Sie hatten Ersparnisse, waren also auf einen Handel mit Falsifikaten gar nicht angewiesen.
KUJAU: War ich auch nicht. Ich habe mich schon seit jeher für Hitler interessiert, immer. Das ging los, nachdem ich von zu Hause - das war noch in der DDR - in eine sogenannte Kinderheimat weg muÃte, da mein Vater Nazi war oder gewesen sein sollte. Wissen Sie, alle schimpften plötzlich über Hitler. Ich stellte mir als Kind den Mann drei Meter groà vor und mit Bullenkräften. Das fachte mein Interesse an. Damals habe ich schon alles verschlungen, was ich an Schriften über den Mann kriegen konnte.
SPIEGEL: Wie alt waren Sie, als Sie aus der DDR flohen?
KUJAU: Das war 1957, ich wurde 19.
SPIEGEL: Im Westen ging''s weiter mit Ihrer Hitler-Begeisterung?
KUJAU: Ich nahm Verbindungen auf zu Hitlers Fahrer Erich Kempka und solchen Leuten, um über die Person des Mannes mehr herauszubekommen.
SPIEGEL: Hitler war eine Figur der Weltgeschichte. Die Faszination des Bösen ging sicher von ihm aus, soweit verständlich. Aber Ihr Schritt, ich schlüpfe sozusagen in seine Haut und schreibe ihn selber - da steckt doch noch ein Sprung.
KUJAU: Ich merkte - man kann sagen so um 1978 herum - daà ich sämtliche Schriften beherrsche. Ich gucke mir eine Schrift an, und dann schreib'' ich sie.
SPIEGEL: Verlockung, Spiel mit den eigenen Fähigkeiten?
KUJAU: Sie könnten recht haben mit der Hitler-Schrift. Wenn ich jetzt zum Beispiel mit - sagen wir mal - Priesack zusammenkam, dann habe ich ja nichts zu melden gehabt. Ich war nur der kleine Militaria-Sammler.
SPIEGEL: Ist es denn ein inneres Erfolgserlebnis, wenn man plötzlich merkt, ich kann mühelos auch die Schrift des groÃen Diktators nachmachen ...
KUJAU:. . . . richtig ...
SPIEGEL: . . . und damit groÃe Wirkung erzielen, mindestens bei vielen Sammlern. Das muà wohl auf Sie eine gewaltige Faszination ausgeübt haben.
KUJAU: Wenn ich sah, daà Leute, die hundertprozentig hätten merken müssen, dieses Gedicht kann Hitler gar nicht geschrieben haben, dann behaupteten, Hitler hat dieses Gedicht dann und dann in jener Situation geschrieben ...
SPIEGEL: . . . hat es Sie gejuckt, die aufs Kreuz zu legen?
KUJAU: Eigentlich schon. 1978 habe ich etwas geschrieben und merkte, wie die Leute ausflippten. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Es war der Kommissarbefehl*. Heidemann und alle Historiker wissen, Hitler hat den Kommissarbefehl weder geschrieben noch unterschrieben oder jemals schriftlich abgehandelt. Ich habe ihn geschrieben, und jeder hat geglaubt, das war Hitler. Diesen Kommissarbefehl hat Fritz Stiefel bei mir mitgenommen, und dort hat ihn Heidemann wahrscheinlich gesehen. Er hat von mir später verlangt, daà er auch in die Tagebücher rein soll. Da steht er nun auch drin.
SPIEGEL: Aber der EntschluÃ, ich - Kujau - schreibe jetzt Hitler ...
KUJAU: . .. 1978 habe ich mich an die Schreibmaschine gesetzt. Ich wollte ein Buch rausbringen, und zwar »Der Tagesablauf des Adolf Hitler« - mit Schreibmaschine. Als ich ungefähr 14 Seiten geschrieben hatte und mir das am Schreibtisch ansah, habe ich mir gesagt, das ist doch wieder nur der gleiche Mist, den es überall gibt. Da kam mir die Idee. Im Keller fand ich die Berichtshefte, die ich mal in der DDR gekauft hatte, um meine Sammlung zu registrieren. Da dachte ich mir, jetzt schreibst du das da mal rein, und fing an, in Hitlers Schrift dort einzutragen.
SPIEGEL: Als Gag?
KUJAU: Richtig, ein Gag. Dieses Buch, nur das eine, habe ich geschrieben. Das ist der erste Halbjahresband von 1935. Militaria-Sammler Stiefel kam zu mir, und ich habe ihm gesagt, ob er weiÃ, daà Hitler Tagebuch geführt hat. Wenn der Mann zu mir gesagt hätte, »ja, das könnte ich mir denken«, hätte ich die Schwarte wohl liegen gelassen. Aber er sagte, »ach was, Hitler hat doch kein Tagebuch geführt«. Da habe ich es vorgeholt, bitte, da ist es, und er hat es mitgenommen.
SPIEGEL: Seit wann sammelten Sie selber Militaria?
KUJAU: Schon seit 1958. Da habe ich für 110 Mark die erste Pickelhaube gekauft.
SPIEGEL: Sie hatten in Ihrem Lager auch Uniformen von Himmler und Heydrich?
KUJAU: Ja.
SPIEGEL: Echt, oder stammt der Stoff von Hertie?
KUJAU: Die sind echt - liegen unter Glas in Vitrinen.
SPIEGEL: Auch den letzten Schund kann man unter Glas legen.
KUJAU: Wirklich, die sind echt.
SPIEGEL: Haben Sie sie auch mal angezogen?
KUJAU: Einmal.
SPIEGEL: Sahen Sie komisch aus?
KUJAU (lacht): Komisch? Eigentlich normal. Hitlers Uniform, die habe ich angezogen.
SPIEGEL: Wie denken Sie über den Nationalsozialismus?
KUJAU: Ich habe oft den Leuten gesagt, wer soviel über Nationalsozialismus gelesen und auch geschrieben hat, kann kein Nazi sein. Es war Interesse an der Zeitgeschichte.
SPIEGEL: Wohl auch eine Einnahmequelle, Ihr Devotionalienhandel . . .
KUJAU: . . . es ist ja kein Handel. Schauen Sie, wenn ich die neun Millionen oder acht oder fünf von Heidemann gekriegt hätte, dann hätte ich teure Helme nicht mit Ratenzahlung gekauft.
SPIEGEL: Das könnte auch ein Zeichen von besonderer Raffinesse sein. Die Millionen könnten ja - sagen wir mal - auf einem Konto in Rio liegen. Wenn Sie hier entlassen werden ...
KUJAU: . . . da hätte ich aber unheimlich Angst - wenn ich dort drüben ein paar Millionen liegen hätte -, daà da irgendwas damit passiert ...
SPIEGEL: . . . vielleicht kommen
noch Zinsen zu Ihrer Entlassung dazu.
KUJAU: Wenn ich entlassen werde, falle ich der Fürsorge zur Last.
SPIEGEL: Wohl kaum. Da fällt Ihnen bestimmt noch was ein. Professor Booms, der Leiter des Koblenzer Bundesarchivs, hat Ihre Hitler-Tagebücher als »plumpe ... grotesk oberflächliche Fälschung« bezeichnet, es »öde an, das Zeug zu lesen«. Hat Sie das gekränkt?
KUJAU: Es hat mich ein biÃchen gestört, daà dieser Mann, der vorher gesagt hatte, »riesiger historischer Fund, einmalige historische Sache«, sich - als der Schwindel rauskam - so weit distanziert. Es hat mich gekränkt.
SPIEGEL: Bundesarchivar Oldenhage lieà wissen, »der Fälscher bekäme in Fälschungskunde eine Sechs. Manche Kollegen haben sich für eine Sieben ausgesprochen«. Da wird Ihr handwerkliches Können bemängelt.
KUJAU: Das kratzt mich nicht. Es sind doch die gleichen Leute, die vorher auf meine Schriften reingefallen sind und mit Heidemann einen umfangreichen Vertrag geschlossen haben, den ich selber über seinem Schreibtisch habe hängen sehen.
SPIEGEL: Priesack hingegen hat Sie als »genialen Fälscher« bezeichnet. Aber das muÃte er wohl, schlieÃlich ist er auf Sie hereingefallen.
KUJAU: Ich glaube, daà es den Mann heute mehr stört, daà dieser Kujau - der immer neben ihm saà und glänzende Augen machte, wenn Priesack erzählte, wie er schon damals bei der Reichsleitung dieses Hitler-Aquarell registriert habe - es doch viel besser wuÃte, weil er es vor kurzem selber gemalt hatte.
SPIEGEL: Der Schriftensachverständige Professor Lothar Michel von der Universität Mannheim hat Ihnen in seinem Obergutachten - als die Fälschung erwiesen war - einigen Respekt bezeugt. Das Urteil von Booms, die Fälschung sei ausgesprochen plump, sei nicht zu halten. Sie hätten einige allgemeine und spezielle Merkmale der Schrift Hitlers durchaus beachtet und auch den für Hitler charakteristischen Wechsel zwischen deutscher und lateinischer Schrift sehr geschickt übernommen.
KUJAU: Diese Besonderheiten darf man natürlich auch nicht übersehen.
SPIEGEL: In einem Aufsatz in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift »Kriminologie« aus dem Jahre 1975 heiÃt es noch, »daà umfangreiche Texte ernsthaft nachgeahmt werden, ist eine ausgesprochene Rarität«. Jetzt muà zwar nicht - wie der »Stern« so vollmundig behauptet hatte - die Geschichte des Dritten Reiches umgeschrieben werden, aber wohl das Kapitel über Fälschungen in der Kriminologie.
KUJAU: Muà wohl.
SPIEGEL: Professor Michel bescheinigt Ihnen, es handele sich »um das weitaus umfangreichste und handschriftlich gefälschte Gesamtwerk, das bislang in der Geschichte bekannt geworden ist«. Ein Platz in der kriminologischen Literatur ist Ihnen sicher. Michel faÃt zusammen: »Freihändig und überwiegend bemerkenswert sicher und zügig ausgeführte Versuche einer Nachahmung der Schrift Hitlers« - zumindest eine nachträgliche Anerkennung.
KUJAU: Ja, ich schreibe diese Schrift ja auch schneller als meine eigene Handschrift. Schreiben Sie mal zwei Jahre lang so eine Schrift. Wenn ich irgendwo saà und schrieb, war das sofort die Hitler-Handschrift. Ich habe ja meine eigene damit versaut.
SPIEGEL: Sie haben mal aus Versehen eine Rechnung im Kaufhof ...
KUJAU: ... mit Hitler unterschrieben, ja. Wenn da einer gewesen wäre, der Hitlers Unterschrift kennt, der hätte Haltung angenommen.
SPIEGEL: Professor Michel hat aber auch kritisch angemerkt, daà Sie im deutschen Schriftsystem unsicher seien. Das läge wahrscheinlich daran, daà Sie die deutsche Schrift nicht mehr in der Schule gelernt haben.
KUJAU: Ja, ich habe sie mir selber beigebracht, um Briefe meines Vaters lesen zu können. Es war niemand mehr da, der mir diese Briefe vorlas. Ich wollte doch wissen, was er geschrieben hat, zum Beispiel von der Front.
SPIEGEL: Michel bemängelt, mit dem Langschrift-»S« sei es bei Ihnen durcheinandergegangen. Sie hätten das SchluÃ-»S« immer nur am Wortende benutzt, aber in Wahrheit gehöre es auch an das Ende mancher Silben ...
KUJAU:. . . stimmt nicht. Hitler hat es genauso gemacht. Darauf habe ich natürlich geachtet.
SPIEGEL: Weiterhin ist Michel aufgefallen, daà bei Ihren Tagebüchern nie ein Wort durchgestrichen war - meinten Sie, der Führer irrt nicht?
KUJAU: Ich glaube, wenn einer Tagebuch führt, streicht er nicht, sondern er läÃt - auch wenn ein Satz ihm nicht gefällt oder grammatisch schlecht ist - so was im Tagebuch stehen. Er wird im eigenen Tagebuch nicht streichen.
SPIEGEL: Aufgefallen sind Schreibfehler. Da steht: Eva Braun, die mich weiterhin so »trängt«, statt drängt. Ist da der Sachse mit Ihnen durchgegangen?
KUJAU: Aber nicht doch. Hitler hat oft Rechtschreibfehler gemacht. Das ist von mir gewollt.
SPIEGEL: Man hat auch gesagt, Ihre Texte in den Tagebüchern seien oft reichlich banal. Ist Ihnen nichts Bedeutendes eingefallen?
KUJAU: Dann war an diesen Tagen auch nichts Bedeutendes los. Hitler hat nicht jeden Tag Weltgeschichte gemacht. Schauen Sie doch mal nach Bonn, was dieser Kohl macht. Der sitzt doch da oft auch nur beim Glas Wein. Hitler hat
auch mal bei einer Tasse Tee gesessen. Das braucht er nicht ins Tagebuch zu schreiben.
SPIEGEL: Daà Hitler über den Englandflug von Heà eine Extrafibel anlegte - muÃte das nicht auffallen?
KUJAU: Das war auf Befehl von Heidemann. Jetzt will ich Ihnen als erstem mal etwas gestehen: Der hat von mir etwas verlangt, da würde ich - wenn ich es geschrieben hätte - zwei Jahre Gefängnis extra kriegen, nämlich daà das englische Königshaus Kontakt zum SD gehabt habe. Er wollte unbedingt, daà ich das schreibe. Er hätte Beweise, konnte sie aber nicht bringen. Statt dessen kam er mir immer mit seinem blöden Martin Bormann.
SPIEGEL: Der Hitler in Ihren Tagebüchern ist kein Blutsäufer, sondern ein reichlich schön gefärbter Diktator, der sich über seine grausamen Paladine sogar mokiert. Zufall oder Absicht?
KUJAU: Nach meinem Dafürhalten das richtige Bild davon, was der Mann darstellte. Ich kann ja kein Tagebuch schreiben »Gebe Linge** den Befehl, mir morgens eine Wanne Blut zu bringen«, nur um ihn so blutrünstig wie möglich zu schildern - wenn er es nicht war.
SPIEGEL: Jedenfalls wird der unheilvollste Deutsche dieses Jahrhunderts bei Ihnen ziemlich läppisch vermenschelt.
KUJAU: Er war ja ein Mensch. Er hatte auch Bedürfnisse wie ein Mensch.
SPIEGEL: War Ihnen bewuÃt, daà mit einem solchen Hitler-Bild auch Strömungen Auftrieb erhalten konnten, die etwa in die Richtung zielen, »die Judenverfolgung war ein Fehler, aber der Nationalsozialismus ist gar nicht so schlecht« . . .
KUJAU: . . . nein, nein. Ich kann ja nicht davon ausgehen, der Bundesbürger möchte den Hitler mit Blutspritzern an der Jacke rumlaufen sehen. Danach kann ich die Bücher nicht schreiben.
SPIEGEL: Ein Interesse am Aufkommen der Neo-Nazis könnte auch die DDR haben - das Interesse an der Destabilisierung in der Bundesrepublik. Von daher kam auch der Verdacht, die Stasi könnte Ihnen die Hand geführt oder das Manuskript geliefert haben.
KUJAU: Heidemann hatte auch immer gedrängt, Conny, wir müssen die Sache ganz oben ansiedeln, beim DDRArmeegeneral Hoffmann, dem Verteidigungsminister. Ich habe ihm entgegengehalten, das sind alte Spanien-Kämpfer, die würden sich nie dafür hergeben.
SPIEGEL: 60 Bände, war oft das Argument, kann man gar nicht fälschen. Haben Sie deshalb so viel produziert, damit es weniger nach Täuschung roch?
KUJAU: Nein. Damals, als ich von Heidemann die Göring-Uniform bekam, die ich unbedingt behalten wollte, sprach er von sechs Bänden. Die Zahl 27 stammt aus dem Hirn von Priesack. Ich weià heute noch den Moment, als er das in der Wirtschaft auf einem Bierdeckel zusammengerechnet hatte. Dann kam Heidemann und wollte es detaillierter, ausführlicher. Von ihm aus hätten es auch 80 sein können.
SPIEGEL: Seit 1978 schrieben Sie Hitlers Schrift. Wie lange dauerte es, bis Sie richtig drin waren?
KUJAU: Das ist eine Momentsache.
SPIEGEL: Wir glauben Ihnen manches, aber nicht alles.
KUJAU: Ich gucke mir eine Schrift eine Zeitlang an, sehe, wo jemand ansetzt. Das ist wichtig. Dann schreibe ich sie. Wenn Sie die ersten Hitler-Schriften von mir sehen, wie dieses Gedicht »Der Kamerad«, dann lache ich heute selber. In der Zelle lache ich, wenn ich mir die Akten anschaue. Das haben die für Hitlers Schrift gehalten. Jeder hätte sofort merken müssen, daà diese Unterschrift nicht von Hitler ist.
SPIEGEL: Inwieweit haben Sie die psychischen Besonderheiten der Tagesform Hitlers berücksichtigt? Wenn es besonders schlimme Ereignisse gab, fiel die Schrift gehetzt aus?
KUJAU: Das kommt von allein. Das glaubt mir heute keiner. Den Druck des Bunkers, den habe ich direkt selber gespürt. Ich habe Magenschmerzen gekriegt - wie er. Wenn in meinem Hitler-Tagebuch steht, »ich habe Sodbrennen, Magenschmerzen - dieses Quacksalbertum«, so habe ich natürlich die Ausdrükke Hitlers benutzt, aber ich hatte die Magenschmerzen.
SPIEGEL: Sie haben viel über Ihren Hitler gelesen?
KUJAU: Alles, dessen ich habhaft werden konnte. Auch ÃuÃerungen Stalins über Hitler, die ins Deutsche übersetzt waren - das alles schon in der DDR. In Stuttgart hatte ich über die Person Hitlers und den Nationalsozialismus ungefähr 500 Werke. Jetzt liegen sie hier in Hamburg bei der Polizei.
SPIEGEL: Das Hitler-Buch von Max Domarus hat wohl eine besondere Rolle für Sie gespielt. Da sollen Sie die Hälfte abgeschrieben haben.
KUJAU: Domarus hat bei der Erstellung seiner Bücher mit dem gleichen Material gearbeitet wie ich. Das habe ich hier einen Tag lang auf dem Polizeipräsidium demonstriert. Man führte mich in den Raum, wo jetzt meine Bibliothek untergebracht ist, stellte den Domarus auf den Tisch und las mir Passagen aus den Tagebüchern vor. Ich holte dann die Bücher hervor, aus denen ich diese Passagen wirklich hatte. Domarus schrieb oft fast das gleiche wie ich, denn auch Domarus hat aus den Originalwerken »Das Dritte Reich« gearbeitet. Die Jahrbücher, die im Eher-Verlag herausgekommen sind, stehen wörtlich bei Domarus abgeschrieben. Domarus hat auch mit dem Tagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht gearbeitet.
SPIEGEL: Aufmerksame Leser haben aber auch Schludrigkeiten bei Ihnen gefunden. Da steht zum Beispiel bei Domarus unter dem 16. August 1937: An Reichsstatthalter General Ritter von Epp sandte Hitler folgendes Telegramm: »Am heutigen Tage, an dem Sie vor 50 Jahren in die Armee eintraten . . .« Bei Kujau steht, »habe heute ein Telegramm von Ritter von Epp zu meinem 50. Eintrittsjubiläum in die Armee erhalten«. Da war Hitler aber selber erst 48 Jahre alt.
KUJAU: Ich weià genau den Tag, wo Hitler eingezogen ist zum Regiment List in der Elisabethenschule in München. Das war der 14. August. Hier habe ich mich verschrieben. Das ist nur auf den Zeitdruc k zurückzuführen, weil Heidemann wieder an der Strippe hing, »morgen hol'' ich zwei Bücher«.
SPIEGEL: Und da hat Kujau-Hitler gepfuscht?
KUJAU: Das fällt auf, aber was bisher noch nicht aufgefallen ist, daà ich unter Zeitdruck zwei ausgearbeitete Monate verwechselt habe. Das ist bis jetzt noch niemandem aufgefallen - den Januar 1936 habe ich, glaube ich, unter Januar 1938 reingeschrieben. Als ich das Buch wegschmeiÃen wollte, ruft Heidemann an: »Ich komme, übermorgen brauche ich zwei Bücher.« Da habe ich mir gedacht, wenn du mich so triezt, lasse ich das drin. Einmal habe ich mitten im Monat aufgehört mit dem Tagebuch - aus Zeitnot. Das fällt auch keinem auf.
SPIEGEL: Am 1. März 1933 schreibt Kujau-Hitler über ein Gespräch Hindenburg/Strasser auf Vermittlung von Streicher. Richtig ist aber - so auch Domarus - auf Vermittlung von Schleicher.
KUJAU: Wahrsch einlich habe ich mich da verschrieben. Das wird Schleicher gewesen sein. Bei Schleicher gab es ja schon den internen Krach mit Hitler.
SPIEGEL: Fritz Stiefel hatte Sie 1979 mit Dr. Priesack und dem Stuttgarter Historiker Professor Jäckel zusammengebracht?
KUJAU: Das ist richtig. Es wurde aber an diesem Tag kaum von Tagebüchern gesprochen. Priesack und Jäckel saÃen schon da, als ich in Hegnach ankam.
SPIEGEL: Aber auch Jäckel hat bei dieser Gelegenheit Ihren Halbjahresband 1935 eingesehen?
KUJAU: Stiefel hat ihn allen gezeigt.
SPIEGEL: Professor Jäckel haben Sie über Priesack ein paar Falsifikate untergejubelt, die er dann in sein Werk »Adolf Hitler - Sämtliche Aufzeichnungen 1905 bis 1924« aufgenommen hat. Ein Erfolg?
KUJAU: Ich habe davon nichts gewuÃt. Aber wissen Sie, wenn nur der Name Hitler fällt, bekommen diese Leute glänzende Augen. Das ist wie Rauschgift für einen Süchtigen. Ich wuÃte nichts davon, daà er diese Sachen in sein Buch aufnahm ...
SPIEGEL: ... nur das vermeintliche Hitler-Gedicht oder noch andere Sachen?
KUJAU: Ich glaube, sechs Arbeiten sind es. Die hatte Fritz Stiefel bei mir eingetauscht. Stiefel mit seiner Geltungssucht ist an die Professoren herangetreten, und die haben dann gemauschelt.
SPIEGEL: Da ist Ihr Fälscher-Ehrgeiz befriedigt worden?
KUJAU: Ach wissen Sie, Fälscher-Ehrgeiz. Ich habe das jetzt erst über die Akten meines Verfahrens gesehen, dieses Gedicht »Der Kamerad«, das habe ich ja noch hingeschleudert. Ein 14jähriger Sammler hätte gesagt, das ist eine Fälschung, das hätte mein GroÃvater besser geschrieben.
SPIEGEL: Professor Jäckel ist immerhin darauf reingefallen.
KUJAU: Ich kann das nicht verstehen, glauben Sie mir.
SPIEGEL: Kommen wir zu Heidemann. Sie waren mit ihm befreundet?
KUJAU: Ja, man kann''s so sagen.
SPIEGEL: Sie duzten sich?
KUJAU: Ja, von seinem Geburtstag an, ab 4. Dezember 1981.
SPIEGEL: Wie wirkte er auf Sie?
KUJAU: Er erschien mir geheimnisvoll durch seine Beziehungen nach Südamerika und durch seine Trauzeugen, die alten SS-Generale Mohnke und Wolff. Ich habe daraus geschlossen, der Mann hat mehr Einblick als andere.
SPIEGEL: Als er im Januar 1981 zum erstenmal bei Ihnen in der AspergstraÃe
vorsprach, was wollte er und was haben Sie mit ihm ausgemacht?
KUJAU: Er sah sich meine Sammlung an und machte gleich sein Köfferle auf. Ich war scharf auf die Göring-Uniform, die er hatte. Er wuÃte, daà bei Stiefel dieses eine Tagebuch im Tresor lag und wollte am liebsten sofort zu ihm rausfahren. Er sagte, es muà noch andere Tagebücher geben, Professor Priesack meine, es gebe 27, und der müsse das wissen. Heidemann schrieb gleich einen Vorvertrag aus mit der Summe von zwei Millionen abzüglich zehn Prozent für ihn - also 1,8 Millionen für mich für 27 Tagebücher. Für die ersten sechs sollte ich je 40 000 Mark bekommen. Ich wollte die Gäring-Unifom gleich behalten, da habe ich ihm versprochen, daà ich mich nach den Tagebüchern umsehen würde.
SPIEGEL: War er für Sie der berühmte »Stern«-Reporter, kannten Sie seine Arbeiten?
KUJAU: Nein. Aber er fing gleich beim ersten Besuch an, davon zu erzählen. Wie er den Traven jagte, wen er alles in Südamerika kennt, den SS-General Wolff, Himmlers Adjutant bei Hitler, sein persönlicher Freund. Und wie er in Südamerika herumgereicht wurde, vor allem sein Kontakt mit Bormann.
SPIEGEL: Der groÃe Reporter Heidemann hatte in Göttingen schon mal einen unehelichen Sohn von Tschou Enlai samt Witwe ausfindig gemacht...
KUJAU: . . . hat er mir gleich am
ersten Abend erzählt.
SPIEGEL: Das war auch schon eine Ente. Sie sind nicht auf die Idee gekommen, der Mann flunkert mir die Hucke voll?
KUJAU: Bestimmt nicht. Vor allem, als er mir noch erzählte, daà er ein Verhältnis mit der Göring-Tochter gehabt hätte.
SPIEGEL: Ihr Urteil über ihn heute?
KUJAU: Ein Spinner. Mehr kann ich nicht sagen, obwohl er mich jetzt belastet, ich hätte die Millionen bekommen und ihn gelinkt. Vielleicht hat man das alles aus ihm gemacht, ihm gesagt, du muÃt die Sensation bringen. Er war ja wirklich so verbohrt, daà er Bormann anbringen würde.
SPIEGEL: Haben Sie das geglaubt? Der EStern« hatte doch Bormann schon im Dezember 1972 feierlich totgesagt, seinen Schädel am Lehrter Bahnhof in Berlin ausgebuddelt, vermessen lassen und verifiziert.
KUJAU: Das ist ein Witz mit dem Schädel. Bormann war am 13. Mai 1945 in München. In der Zwischenzeit sind Photos wiederaufgetaucht, wonach er vor einer Villa in Südamerika photographiert worden sein soll. Man will ihn an der Warze erkannt haben. Ich weià aus wirklich sicherer Quelle, daà er am 13. Mai 1945 in München gewesen ist, obwohl er angeblich am 30. April oder am 1. Mai morgens tot an der Weidendammer Brücke gelegen haben soll.
SPIEGEL: Was ist das für eine Quelle?
KUJAU: Ach, da gibt''s Wirbel. Es ist die Schwester Pia, die einzige Blutorden-Trägerin.
SPIEGEL: Und wo soll die leben?
KUJAU: In Bayern. Die ist um 90 Jahre alt - oh, ich glaube, letztes Jahr ist sie gestorben.
SPIEGEL: Na, so''n Pech. Da wird es hapern mit der Beweisführung. Von wann an wuÃte Heidemann, daà Sie die Tagebücher schreiben?
KUJAU: Hundertprozentig ab Mai 1981. Da war er bei mir, es ging um zwei Helme. Es wurde damals immer schwieriger mit den Büchern - mit dem Eintritt Deutschlands in den Krieg, Kriegserklärung Polen, Sender Gleiwitz -, da wuÃte ich nicht so recht, wie ich das schreiben soll. Im UnterbewuÃten habe ich wohl geglaubt, ich muà es ihm jetzt deutlich machen, daà ich die Bücher selber schreibe. Ich nahm einen Zettel und schrieb das Wort »Helme« drauf, in Hitler-Handschrift - absichtlich. Da wurde er blaÃ, stand auf und sagte: »Hab'' ich''s mir doch gedacht, Conny.«
SPIEGEL: Wenn er von da an wirklich gewuÃt haben sollte, daà Sie den ganzen Kram selber schreiben, müÃte er als der groÃe Reporter doch auch mal Lust gehabt haben, Ihnen beim Schreiben über die Schulter zu sehen.
KUJAU: Hat er auch. Ich habe doch Briefe vor ihm geschrieben.
SPIEGEL: Das Tagebuch nicht?
KUJAU: Nein, die Tagebücher habe ich immer daheim geschrieben. Da war er nur ein einziges Mal. Er hat immer nur die Bücher genommen, eingepackt und ist schnellstens wieder weg. Keine Seite hat er kontrolliert, nur getobt, wenn ein Buch wieder mal zu dünn war.
SPIEGEL: Stimmt es, daà Sie Heidemann zu seinem 50. Geburtstag - am 4. Dezember 1981 - eine Urkunde in der Handschrift Hitlers ausgestellt haben?
KUJAU: Ja. Er kam von einer Reise, hatte sich das Hitler-Haus angesehen und wollte mit uns feiern. Bei mir in der SchreiberstraÃe habe ich ein Gesteck hingestellt, eine Flasche Sekt, und - eingerahmt - die Ernennungsurkunde zum Gauleiter und Ehrenstatthalter von Hamburg, in Hitlers Schrift und mit Hitlers Unterschrift. Die besitzt er noch.
SPIEGEL: Heidemann behauptet, er habe bis zum Schluà daran geglaubt, die Tagebücher seien echt.
KUJAU: Einen so gläubigen Eindruck hatte er eigentlich nie gemacht.
SPIEGEL: Haben Sie während der Zeit Ihrer Bekanntschaft mit Heidemann bemerkt, wie sich sein Lebensstil veränderte?
KUJAU: Der hat sich arg verändert. Ich war ja nicht viel mit ihm zusammen, aber gemerkt habe ich zum Beispiel, daà er bei Auktionen unheimlich zugriff.
SPIEGEL: Hat er Ihnen von seinen Häusern in Spanien berichtet?
KUJAU: Davon hat mir seine Frau am Telephon erzählt.
SPIEGEL: Hat er Ihnen von Schweizer Konten oder einem Kundentresor in einer Züricher Handelsbank erzählt?
KUJAU: Nein. Er hat mir nur gesagt, hinter der ganzen Finanzierung der Bormann-Sache stünde ein Schweizer Industrieller.
SPIEGEL: Frau Heidemann hat zu allem, was Sie anderswo bisher öffentlich verlautbart haben, erklärt: »Keine Zeile von Kujau, die nicht gelogen ist.«
KUJAU: Ich habe immer geglaubt, Frau Heidemann weià überhaupt nichts über den ganzen Fall. Als ich in Hamburg war, habe ich sie nur fünf Minuten gesehen. Vielleicht weià sie jetzt auch, wo das Geld ist.
SPIEGEL: Woher stammen die Kladden, in die Sie Ihre Tagebuch-Eintragungen geschrieben haben?
KUJAU: Die ersten sechs habe ich mir aus der DDR mitgebracht, vom HO in Bautzen für 3,42 Mark das Stück. Die nächsten habe ich aus Ost-Berlin geholt. Es sind Bücher für die Berufsschule drüben.
SPIEGEL: Alle 60 Tagebücher sind gleich?
KUJAU: Alles dasselbe. Die gibt''s in der ganzen DDR. Nur eins ...
SPIEGEL: . . . bei den Ultraviolett-Untersuchungen soll sich später herausgestellt haben, daà Sie unterschiedliche Papiersorten benutzt haben.
KUJAU: Ich müÃte die Bücher jetzt einmal sehen. Es gab mal
einen EngpaÃ. Es müssen - das ist wieder ein Geheimnis, das Sie als erster erfahren, das haben noch nicht einmal die Ermittler festgestellt - auch mal gröÃere darunter sein, die ich von Heidemann gekriegt habe. Eine Lieferung hat er besorgt. Diese Bücher müssen höher sein. Das muà ganz minderwertiges Papier sein, auch aus der DDR, da bin ich mit der Feder manchmal hängengeblieben.
SPIEGEL: Nur beim HeÃ-Band haben Sie altes Papier verwendet?
KUJAU: Ja, für die HeÃ-Akte - 12 Seiten hat er mir wohl gegeben. Die HeÃ-Akte ist in Aktendeckel eingebunden. Da habe ich mir vier Seiten noch abgezweigt und daraus einen Brief vom Kaiser gemacht. Der ist noch bei mir in der Vitrine.
SPIEGEL: War es denn so schwer für Sie, altes Papier zu beschaffen?
KUJAU: Wieso sollte ich denn? Ich habe wirklich daran geglaubt, die Bücher liegen im Fernsehen, da sitzt der Bormann, Heidemann hat seine Blutfahne, das gröÃte Heiligtum der Nazis, und dort liegen die Tagebücher, Bormann wird dargestellt und liest vielleicht mal was draus vor.
SPIEGEL: Reichlich unwahrscheinlich. Aber selbst wenn Sie daran geglaubt hätten: Die Tagebücher wären in jedem Fall eine historische Sensation gewesen und entsprechend bewertet und geprüft worden.
KUJAU: Vielleicht hätte man geglaubt, Bormann habe sie in Südamerika fälschen lassen.
SPIEGEL: Oder, daà er selber eine Fälschung ist - wie auch immer. Im März/April vorigen Jahres brachte Heidemann dem »Stern« noch den Band von Januar bis Juni 1935 an.
KUJAU: Ja, das war dieses erste von mir geschriebene Tagebuch, das ich damals Fritz Stiefel geliehen hatte.
SPIEGEL: Heidemann hatte doch vorher schon die beiden anderen Bände über denselben Zeitraum abgeliefert, die Sie erst viel später geschrieben haben. Das war doch ein groÃes Risiko. Die Herren vom »Stern« hätten doch sagen müssen, nanu, erstes Halbjahr 1935, das haben wir doch schon im Sack?
KUJAU: Natürlich müssen die das gemerkt haben. Aber ich wuÃte ja nicht mal, daà Heidemann die Dinger dem »Stern« verscheuert.
SPIEGEL: Der Schriftsachverständige Professor Michel hat festgestellt, daà dieser erste Band aus Ihrer Feder noch wenig Schreibroutine aufweist. Am Anfang fänden sich noch Strichunsicherheiten ...
KUJAU: ... da hat er völlig recht. Heidemann sagte, da fliegt was auf, die Doublette muà her. Es war schwierig, aber Stiefel hat dann schlieÃlich das Buch zurückgebracht.
SPIEGEL: Heidemann wäre ja auch sonst in Teufels Küche gekommen, damals schon. Aber es leuchtet nicht ein, daà er diese Doublette zum »Stern« trug, er hätte ...
KUJAU: . . . sie verschwinden lassen müssen, ich habe geglaubt, er vernichtet sie.
SPIEGEL: Daà er es nicht tat, ist eigentlich ein Punkt, der für Heidemann spricht.
KUJAU: Ja, ich weià es. Aber er hat denen gleich noch einen Bären aufgebunden: Hitler habe einige Tagebücher doppelt geführt, für die Partei. Ich kann mir das nur so erklären: Heidemann wurde damals wirklich beim »Stern« als Hitler-Kenner geführt, und was er sagte, hatte Gewicht.
SPIEGEL: Oder - und dafür spricht viel - die Herren vom »Stern« waren bei Hitler betriebsblind.
KUJAU: Sie hätten doch einen Graphologen nehmen können. Ich habe doch ganz andere Buchstaben damals gemacht. Wenn man die beiden Tagebücher von 1935 verglichen hätte, wäre einem das ins Auge gesprungen. Da wäre der ganze Schwindel sofort aufgeflogen.
SPIEGEL: Womit erklärten Sie sich die Eile, mit der Heidemann immer gekommen ist und neue Tagebücher verlangt haben soll?
KUJAU: Damit, daà Bormann angeblich schon in der Schweiz saà und die Tagebücher brauchte. Ich habe immer geglaubt, da steckt wirklich dieser Schweizer Industrielle dahinter, der angeblich auch Barbies Verteidigung finanzieren sollte.
SPIEGEL: Sie wuÃten doch, Heidemann ist der Mann vom »Stern«. Lag es nicht nahe, daà er seine Story mit den Tagebüchern auch dort verhökert?
KUJAU: Ich habe nie daran geglaubt, daà der »Stern« dafür auch nur eine Mark ausgeben könnte. Heidemann trat ja immer als der groÃe Aufkäufer für alle NS-Sachen hervor. Ich habe gar nicht mehr daran geglaubt, daà er überhaupt noch beim »Stern« ist. Wenn wir telephonierten, saà er doch auch immer zu Hause. Er hat nur mal erzählt, daà die Bormann-Geschichte beim »Stern« bearbeitet würde. Da hätte man einen Stab extra vergattert, das wäre das »Unternehmen Martin«.
SPIEGEL: Warum sind denn die Bände immer dünner geworden?
KUJAU: Weil er es immer eiliger hatte. Erst tauchte er alle 14 Tage oder drei Wochen auf. Dann wollte er am liebsten jede Woche Bücher haben. Wissen Sie, schneller schreiben als schreiben kann ich nicht. Wenn er mir Zeit gelassen hätte, wären die Tagebücher ganz anders ausgefallen, da hätte ich detaillierter schreiben können. So muÃte ich hinten die Zusammenfassung aus dem
Tagebuch des Oberkommandos zur Hand nehmen. Ich konnte vorne gar nicht mehr alle einzelnen Passagen über die Kriegsschauplätze durchlesen.
SPIEGEL: Es waren mal drei Bücher in 20 Tagen?
KUJAU: Ja, wenn ich die Tagebücher vorher ausgearbeitet hatte. Ganz ehrlich, wenn ich wirklich für ein Tagebuch 40 000 Mark kassiert hätte, wäre das sogar mir zuviel gewesen, weil ich Tagebücher schon mal in viereinhalb Stunden geschrieben habe, pro Seite etwa drei Minuten.
SPIEGEL: Professor Michel hat in seinem Gutachten festgestellt, Sie hätten sogar so schnell geschrieben, daà Sie umblätterten, bevor die Tinte auf den Seiten getrocknet war. Das hat er an den Klecksen auf den Rückseiten gesehen.
KUJAU: Das müssen Sie sich mal vorstellen. Ich konnt''s ja nicht mehr schaffen.
SPIEGEL: Was haben Sie - alles zusammengenommen - für die Tagebücher gekriegt?
KUJAU: So etwa 1,1 Millionen. SPIEGEL: Heidemann und Sie stellen sich dar als betrogene Betrüger. Das sind schon seit den Zeiten der Commedia dell''arte die komischen Figuren.
KUJAU: Ach Gott, ich kann ja nichts machen. Dann bin ich eben eine komische Figur. Nur kann ich mich aufregen, daà ich zwei Jahre bestimmt hart daran gearbeitet habe.
SPIEGEL: Sicher, aber bei 1,1 Millionen ja auch nicht umsonst. Wie kam es eigentlich zu dieser Panne mit den Initialen »FH« statt »AH« auf dem Einband eines der Tagebücher?
KUJAU: Das weià ich auch nicht. Ich habe zwei verschiedene Buchstabenpaare aus Hongkong mitgebracht, aus der Grabbelkiste, aber das waren Blechbuchstaben, und das »A« hatte ein chinesisches Dach. Das erste Paar habe ich auf jenes Tagebuch, was Stiefel zunächst bekam, draufgemacht. Das hat Heidemann dort gesehen. Viel später - 1982 habe ich in einem Briefkuvert noch das zweite Paar gefunden, einen halben Hongkong-Dollar haben die gekostet, das sind 25 Pfennig. Auf den anderen Tagebüchern, das erkenne ich auf den Photos, sind nur Kunststoffbuchstaben drauf. Und das mit dem »F« - also bitte, so verrückt wäre ich nicht. Ich weià doch, daà das ein »F« ist.
SPIEGEL: Wo kommt die Kordel her?
KUJAU: Wenn ich dieses Ding daraufgemacht hätte, so hätte ich schwarzes Paspelierband von der SS genommen. Das kriege ich überall noch zu kaufen. Da hätte ich Originalschnur aus dem Dritten Reich genommen und nicht eine, die aus chemischen Kunststoffen besteht.
SPIEGEL: Tinte und Federn?
KUJAU: In jedem Kaufhaus.
SPIEGEL: Sie sollen eine Mischung genommen haben - »Pelikan schwarz 4001« und »Pelikan blau 4001«.
KUJAU: Das hat man nicht bei der kriminaltechnischen Untersuchung ermittelt, das habe ich der Kripo selber erzählt. Hinterher hat''s die Zeitung gemeldet, das hätten die Herren Chemiker festgestellt.
SPIEGEL: Stimmt''s denn?
KUJAU: Ja, freilich.
SPIEGEL: Wo haben Sie das gekauft?
KUJAU: In jedem Kaufhaus zu haben für 4,80 Mark. Die Federn auch. Die kann ich mir sogar hier in die Haftanstalt reinbringen lassen.
SPIEGEL: Alte Tinte hätte man doch leicht selber herstellen und sich die alten Rezepte aus den Büchern heraussuchen können.
KUJAU: Die brauche ich nicht. Wenn mir''s drauf angekommen wäre, hätte ich nämlich in jedes Tintenfaà drei Tropfen flüssiges Eisen reingetan. Dann hätten die Sachverständigen noch heute zu krabbeln. Das flüssige Eisen kriege ich in jeder Drogerie. Das ist nämlich ein Mittel gegen
Zahnfleischbluten und kostet 4,20 Mark. Wissen Sie, das regt mich ja so auf. Die tun hier so, Fälschung des Jahrhunderts - das ist keine Fälschung, das ist eine Gaudi.
SPIEGEL: Sonderbar erscheint die Tatsache, daà bei jener Untersuchung durch die Schriftsachverständigen, die der »Stern« vor seiner Veröffentlichung in Auftrag gegeben hatte, Professor Frei-Sulzer und das Landeskriminalamt in Mainz zu dem Ergebnis kamen ...
KUJAU: . . . echt, absolut echt. Hinterher hat sich herausgestellt, die Kripo hat Kujau mit Kujau verglichen. Es waren Schriften, die Heidemann mir im Büro so nebenbei abgenommen hat. Dem Landeskriminalamt hatte der »Stern« gesagt, dieses stammt aus einem anderen Fund und jenes aus einem Tagebuch. So haben die nur meine eigenen Schriften verglichen und zwangsläufig die Identität bejaht - hinreiÃend.
SPIEGEL: Sie haben Medienmanager, Journalisten, Gutachter und Historiker bis auf die Knochen blamiert - buchen Sie das als Ihren Erfolg?
KUJAU: Daà ich Historiker aufs Kreuz gelegt habe und noch während des Prozesses lächerlich machen werde, das ist mir eine innere Genugtuung.
SPIEGEL: Was werden Sie nach Ihrer Entlassung tun?
KUJAU: Sollte ich Bewährung kriegen, bleib'' ich hier, bis ich die Bewährung hinter mir habe. Dann möchte ich Deutschland verlassen. Ich bin enttäuscht. Vielleicht schreibe ich ein Buch im Ausland.
SPIEGEL: Haben Sie schon das Urteil der Hamburger Strafkammer gegen Kujau und Heidemann geschrieben - in der Handschrift des Vorsitzenden?
KUJAU: Habe ich nicht, weil ich noch nicht weiÃ, wer der Vorsitzende ist und seine Schrift noch nicht kenne. Ansonsten: gute Idee.
SPIEGEL: Wenn Sie das Urteil schreiben - wieviel Jahre Gefängnis messen Sie sich dann zu?
KUJAU: Gut, ich habe die Fälschung gemacht. Sagen wir, sechs Monate auf Bewährung.
SPIEGEL: Ein milder Richter in eigener Sache. Und wieviel für Heidemann?
KUJAU: Dazu möchte ich mich nicht äuÃern. Aber für seine Dummheit würde ich ihm schon mal zwei Jahre geben.
SPIEGEL: Herr Kujau, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
* Am 6. Juni 1941 erlieà das Oberkommando der Wehrmacht »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare«, den sogenannten Kommissarbefehl, der eine Liquidierung der Kommissare nach ihrer Gefangennahme vorsah.
* Mit Redakteur HansWolfgang Sternsdorff.
** Hitlers Diener
Mit Redakteur Hans-Wolfgang Sternsdorff.Auf der internationalen Pressekonferenz zur Präsentation der"Hitler-Tagebücher« am 25. April 1983 im Hamburger Verlagshaus vonGruner + Jahr; l.: der damalige »Stern«-Chefredakteur Peter Koch.Von Kujau in der Haft geschrieben. Wortlaut: »Am Ende aber hat sichdas deutsche Volk auch den im Felde gebliebenen Männern gegenübernicht würdig erwiesen. Es wird sehr sehr lange dauern, bis sichunser Volk von der nun kommenden Niederlage erholt. Günsche hatseine Weisung, er weià was er zu tun hat. Der Herrgott stehe mir undmeiner Frau bei, er helfe auch dem deutschen Volke in der nunkommenden schweren Zeit. Adolf Hitler.«Am 6. Juni 1941 erlieà das Oberkommando der Wehrmacht »Richtlinienfür die Behandlung politischer Kommissare«, den sogenanntenKommissarbefehl, der eine Liquidierung der Kommissare nach ihrerGefangennahme vorsah.Hitlers Diener.Bei Bekanntgabe des Fälschungsnachweises am 6. Mai 1983 in Koblenz.Von Kujau in der Haft gemalt. Text auf der dargestellten Urkunde:"Gebe Herrn Kujau Weisung und Erlaubnis, weitere Schriften undBilder herzustellen. Adolf Hitler. Hauptquartier.«Text: »Wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Hamburg, den 21.Februar 1984. Adolf Hitler.«