thw | Kritik
Biennale im Widerspruch
Die Berlin Biennale feiert sich in der Auguststraße
Soviel Glück im Unglück gab es selten. Jedenfalls gilt das für die neueste Ausgabe der Berlin Biennale, die in ihrer vierten Version unter dem Titel »Von Mäusen und Menschen« sich den dunklen Seiten des Menschen und der Kunst widmet. Ein Bild dafür findet sich schon am Anfang der Ausstellung, wenn man den Ausgang der Auguststrasse zur Oranienburger Straße als solchen sehen will. Dort, in der Johannes-Evangelist-Kirche, eine Kirche, findet sich eine Anzeigetafel, bekannt aus nationalen und internationalen Flughäfen. Das internationale Kunst-Jet-Set, das zur Eröffnung der Biennaler angereist war, konnte sich vor dieser Anzeigetafel nur auf sich selbst zurück geworfen sehen, denn die Tafel blieb immer schwarz, auch wenn sie heftigst rackerte, um etwas zeigen zu wollen.
Thomas Schütte im zentralen Raum der Kunstwerke
Es ist die Rückkehr zur Kunst und diese Rückkehr findet auf vielen Seiten begeisternde Zustimmung. Wir sind angekommen und können nicht wieder gehen. Jedenfalls nicht, solange wir nicht die 920 Meter Auguststraße überwunden haben, auf denen sich diese Biennale sich erstreckt. Dabei verliert sie sich in einzelnen Wohnungen, entdeckt eine Mädchenschule und findet auch einen Weg in den Spiegelsaal. Ohne die Kunstwerke selbst, neudeutsch einfach KW, aber wäre das alles nicht möglich und nicht möglich geworden. In der vierten Ausgabe dieser Biennale hat man endlich genug Geld und kann es sich leisten, in Erinnerungen an die Zukunft zu schwelgen. Ein erster schweifender Blick sieht eher Erinnerungen als Zukunft, aber das mag ein Zeichen der Zeit sein. Schließlich ist es einfacher, das ehemalige Soziotop Auguststraße wieder zu beleben, zumindest das, was von ihm übrig geblieben ist, als sich neue Wege und neue Orte auszusuchen. Die Vorfahren von 1992 hatten da noch etwas gewagt, mit 37 Kuratoren in 37 Räumen.
Die ehemalige jüdische Mädchenschule als pittoresker Ausstellungsort
Diesmal ist es gediegener, die ehemalige jüdischen Mädchenschule ist für die Kunst neu erobert worden und hier hängen die Tapetenreste denn auch schön herunter ebenso wie der Putz von der Wand abblättert. Wenn da nur nicht die Kunst wäre. Die kann in den wenigsten Fällen dagegen halten und wirkt dann wie eine scheinbar notwendige Raumgestaltung. Die unverputzten Wandeinbauten zur Sicherung der Ausstellung tun ihr Übriges. Aus der »Wrong Gallery« ist ein »Wrong House« geworden, ohne den Charme der Gallery. Aber das Interieur der Mädchenschule wird zum »Slapstick des Grauen« (Jörg Heiser in der Süddeutschen Zeitung) und der Besucher fühlt sich wie »In der Matschpfütze des Seins« (Hanno Rauterberg in der Zeit). Diese Beschreibungen sind einigermaßen korrekt, es fragt sich nur, ob es zulässig ist, aus der Erinnerung an den Holocaust eine Kunstausstellung zu machen oder einen Slapstick. Denn diese Erinnerung ist ein Grundtenor dieser Biennale. Dafür blendet sie weitgehend die Aktualität aus und Analyse oder Konzept sind ihr Fremdwörter. Da wird bild- und metaphernmächtig gewirkt und gewürgt, als sei der Cattelan’sche Humor immer schon missverstanden worden. Massimiliano Gioni hielt sich schon auf der letzten Manifesta mit einem sehr existentialistisch geprägten Ausstellungsdesign in Erinnerung. Und Ali Subotnick können wir gar nicht einschätzen.
Eine Video-Projektion von Mircea Cantor
Aber hinter den tristen Wänden und Mauern finden sich dann auch jene Künstler und Künstlerinnen, die der Markt gerade entdeckt hat (Norbert Schwontkowski) oder die er entdecken soll. Das Konzept, das keines sein will, aber das Menschliche an sich entecken will, verbirgt mehr schlecht als recht, dass diese Biennale sich auch dem Markt ergeben hat. Wir hören das Rauschen von Geldscheinen, aber das dürfen wir nicht. Selbst Gagosian hat teilgenommen (mit dem Fotografen Roger Ballenn, den gerade jetzt alle entdecken), auch wenn man ihn in einer Art Produktpiraterie auf der Auguststrasse seit September letzten Jahres wiederfand. So wird das Menschliche, Allzumenschliche »von Mäusen und Menschen« am Ende der Ökonomie geopfert und die Bundeskulturstiftung unterstützt diesen Opfergang mit 2,5 Millionen Euro. Die Biennale wird zum Leuchtturm des Einverständnisses mit den Verhältnissen, wie sie sind. Da wünschen wir uns die gescheiterte Biennale von Ute Meta Bauer zurück, um etwas von dem Widerstand zu lernen, der damals noch möglich erschien. Diese Biennale kennt nur noch die Sackgasse.
Thomas Wulffen
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4. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, kuratiert von Maurizio Cattelan, Massimiliano Gioni und Ali Subotnick mit Arbeiten von über 70 Künstlern und Künstlerinnen, an zwölf Ausstellungsorten entlang der Auguststraße in Berlin-Mitte
Bis 28.05.2006, Di-So 12-19 Uhr, Do 12-21 Uhr
thw, 04.04.06 | Mehr von dieser Autorin/diesem Autor
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Kommentare
Oh, mein Gott, diese dämlichen unpassenden Fahnen am Gebäude der KW, (Kabelwerk ?), nehmen mir sofort jede Lust... und dann werden auch ehem. jüdische Mädchenschulen instrumentalisiert und überstrapaziert. Zirkus, Jahrmarkt, Rummel, Bier, Ficken, Kunst
Auguststraße und "Kunst" erleben doch irgendwie seit ihrer Hochzeit eine sehr schwierige Ehe. Biennalen ab nach Marzahn ! Oder nach Biesenthal. Kunst ist vorbei.
grijsz | 05.04.06
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