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Kroatien nach dem Zweiten Weltkrieg: Titos Partisanen

Foto: Renate Flottau

Partisanenkrieg Rätsel der verschwundenen Division

Erst erschossen, dann verscharrt: In einem neu entdeckten Massengrab in Kroatien werden Leichen von Hunderten deutschen Wehrmachtssoldaten vermutet. Zeitzeugen erinnern sich an Todesmärsche im Mai 1945 - und können wichtige Hinweise zur Aufklärung des Kriegsverbrechens geben.
Von Christoph Gunkel und Renate Flottau
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Der Kroate Mijo Kresnik war 28 Jahre alt, als Mitte Mai 1945 die Todeskolonnen an seinem Haus in Kljuc Brdovecki

an der slowenisch-kroatischen Grenze, 30 Kilometer westlich von Zagreb, vorbeizogen - jede Nacht wieder. Aus dem Fenster habe er die überwiegend jungen Männer auf ihrem letzten Marsch beobachtet, erzählt der agile 92-Jährige. Fast alle seien nackt oder nur in Unterhosen bekleidet gewesen. Dorfbewohner hatten für etwas Zucker oder Salz Gräben ausgehoben, draußen auf den Feldern, immer 160 Zentimeter tief und 60 Zentimeter breit.

Zwei Wochen lang, vom 13. bis zum 26. Mai 1945, hallten die Schüsse der Exekutionen durch die Nacht. Von rund 2000 Toten sei später im Gemeinderat die Rede gewesen, erinnert sich Kresnik. "Als die Massaker vorüber waren, eilten wir mit flüssiger Kreide zu dem Gelände, um die aus der Erde herausragenden Hände und Köpfe damit zu übergießen", sagt der alte Mann. "Der Gestank war unerträglich." Seine Frau sammelte auf der Straße Fotos und Geldbörsen von Soldaten auf, die diese absichtlich weggeworfen hatten: Womöglich, um so ihren Angehörigen einen letzten Hinweis auf den Ort ihres Endes zu geben.

Später, erzählt Kresnik, hätten die neuen kommunistischen Herren den Dorfbewohnern gedroht, sie ebenfalls zu töten, falls sie ihre Funde nicht ablieferten. "Wir hatten Angst, schreckliche Angst", gesteht Milo Kresnik. "Alle wussten von den Massengräbern - doch wir mussten schweigen."

Auch Deutsche waren unter den Opfern

Doch jetzt, nach fast 65 Jahren, könnte das Geheimnis der Toten von Kljuc Brdovecki endlich gelüftet werden. Nach zwei Jahren Recherchen und zahlreichen Aufforderungen an die kroatische Regierung, ihr Schweigen über die Massengräber zu brechen, informierte am vergangenen Freitag Ivan Zvonimir Cicak, Vizevorsitzender der Menschenrechtsorganisation "Helsinki-Komitee" in Kroatien, die Medien über die Existenz mehrerer bisher unbekannter Massengräber an der kroatisch-slowenischen Grenze. Geschätzte 4500 Exekutionsopfer sind laut Cicak verscharrt. Die kroatische Regierung, die die Existenz solcher Massengräber lange bestritt, hat den Fund inzwischen bestätigt.

Die Opfer der Massentötungen um Kljuc Brdovecki´waren kroatische Soldaten, die in der deutschen Wehrmacht gegen Titos Partisanen gekämpft hatten, Zivilisten - und auch eine große Zahl deutscher Offiziere. Eine Schneiderin im Ort, erinnert sich Zeitzeuge Kresnik, habe mehrere hundert deutsche Uniformen, die die Gefangenen ablegen mussten, für Titos Partisanenarmee umgenäht. Nur ein paar Autominuten von Kresniks Haus, etwa 200 Meter abseits der Straße, liegt das Feld, wo nach Cicak Recherchen die deutschen Offiziere und Unteroffiziere ermordet und sofort verscharrt wurden. Das verwahrlost wirkende Gelände wird von einer Eisenbahnlinie geteilt, die letzte Bahnstation vor der Grenze nach Slowenien liegt ganz in der Nähe. Hier soll, so Cicak, in den kommenden Wochen eine kroatische Firma mit modernster Elektronik feststellen, wo genau unter der Erde Skelette und Knochenreste liegen.

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Kroatien nach dem Zweiten Weltkrieg: Titos Partisanen

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Wer die Toten sind, woher sie kommen, wer genau verantwortlich war - darüber gibt es bisher nur Mutmaßungen. Cicak ist überzeugt, dass die ermordeten Wehrmachtssoldaten zur sogenannten "Blauen Division" gehörten. Offiziell hieß diese Einheit "392. (kroat.) Infanteriedivision" und war eine ungewöhnliche Konstruktion im besetztem Kroatien: Sie bestand aus deutschem Rahmenpersonal, "Volksdeutschen" und kroatischen Kämpfern. Die Soldaten trugen Wehrmachtsuniformen, auf denen die Flagge Kroatiens aufgenäht war.

Das Rätsel der "Blauen Division"

Die "Blaue Division" - die nichts mit einer gleichnamigen Einheit aus spanischen NS-Legionären an der Ostfront zu tun hatte - war die letzte von drei gemischt deutsch-kroatischen Infanteriedivisionen und kam erst Anfang 1944 zum Einsatz. Sie hatte eine Sollstärke von etwa zehntausend Mann - und einen wichtigen Auftrag: Die Bekämpfung von Titos kommunistischen Partisanen, die die Deutschen und das von ihnen gestützte Ustascha-Regime unter dem kroatischen Faschistischenführer Ante Pavelic in einen zermürbenden Guerilla-Krieg verwickelt hatten.

Doch umso mehr Hitlers Truppen auch auf dem Balkan in die Defensive gerieten, desto schneller zerfielen die eilig zusammengestellten, schlecht ausgebildeten deutsch-kroatischen Einheiten. Ab September 1944 fingen kroatische Mannschaftsteile massenhaft an zu desertieren und zu meutern - desillusioniert von der militärischen Lage und angestachelt von "Schläfern" Titos, die Überläufern Amnestie versprachen. In einem Bataillon der gemischten 369. Division ermordeten die Kroaten sogar ihre deutschen Offiziere.

Auch die "Blaue Division" war bereits erheblich geschwächt, als im Frühling 1945 Titos Truppen in einer Großoffensive auf die Stadt Bihaczurollten. "Vermutlich bestand sie zu diesem Zeitpunkt aus nicht viel mehr als 3000 Mann", sagt der Historiker Klaus Schmider, Autor des Standardwerks über den Partisanenkrieg auf dem Balkan. Unter schweren Verlusten zogen sich die Deutschen entlang der Adria nach Nordkroatien zurück. "Die 392. (kroat.) Division kann als vernichtet angesehen werden", notierte der Wehrmachtführungsstab in seinem Lagebericht vom 8. April lakonisch. Eine Woche später allerdings tauchte die Einheit im Lagebericht wieder auf. Am 7. Mai 1945 kapitulierten die Reste der "Blauen Division" in der Hafenstadt Rijeka an der Adriaküste.

Die "Rachehand unseres Volkes"

Was dann passierte, darüber kann bisher nur spekuliert werden. Rijeka liegt 170 Kilometer südwestlich des nun gefundenen Massengrabs. Offenbar mussten die Gefangenen von dort via Slowenien nach Kroatien marschieren, womöglich wurden dabei die deutschen Offiziere vom Rest der Truppen abgesondert. Den Befehl zu ihrer Liquidierung könnte Tito persönlich gegeben haben, spekuliert Cicak, der in den siebziger und achtziger Jahren in Jugoslawien als Dissident bekannt wurde. Tito hatte sich vom 13. bis 23. Mai 1945 im nahegelegenen Zagreb aufgehalten. Am 26. Mai hielt er in Ljubljana (Laibach) vor einer großen Menschenmenge auf dem Kongressplatz eine Rede, in der er erklärte, dass alle Verräter, die die "Rachehand unseres Volkes" noch nicht erreicht habe, Berge und Felder des Landes nicht mehr erblicken würden.

Das betraf vor allem die kroatischen oder slowenischen Milizen, die an der Seite der Nazis gekämpft hatten. Allein im Mai 1945 sollen etwa 60.000 Kroaten hingerichtet worden sein. Etliche von ihnen starben beim "Massaker von Bleiburg", als die Briten kriegsgefangene Slowenen und Kroaten einfach an Titos jugoslawische Befreiungsarmee auslieferten - obwohl sie ahnten, dass die Sieger ein Blutbad anrichten würden. Auch ethnische Deutsche wurden "ausselektiert und als Verräter liquidiert", weiß Professor Rolf-Dieter Müller von der Humbodt-Universität Berlin. Und von den etwa 175.000 bis 200.000 deutschen Soldaten, die 1945 in jugoslawische Kriegsgefangenschaft gerieten, kehrte nicht einmal die Hälfte zurück. Sie starben auf Todesmärschen, verhungerten in Lagern oder wurden willkürlich hingerichtet - wie offenbar bei Kljuc Brdovecki.

Die Deutschen und ihre Kollaborateure traf nun mit voller Wucht der Hass, den sie jahrelang geschürt hatten. Als Hitlers und Mussolinis Truppen im April 1941 Jugoslawien besetzten, hatten sie ein fatales Kunstgebilde geschaffen, den "Unabhängigen Staat Kroatien". Dessen diktatorischer Führer Ante Pavelic, Gründer der faschistischen Ustascha-Miliz, begann sofort mit "ethnischen Säuberungen", denn die Kroaten machten gerade einmal die Hälfte der Bevölkerung seines Staats von Hitlers Gnaden aus. "Ich habe Anweisung gegeben zur völligen Vernichtung der Serben", brüstete sich etwa im Mai 1941 der Ustascha-Kommandeur von Banja Luka.

Lassen sich Vermisstenschicksale jetzt klären?

Die systematischen Massenmorde gingen sogar Pavelics Nazi-Verbündeten zu weit - allerdings vor allem, weil die Bluttaten der Ustascha den Partisanen massiven Zulauf bescherten und Jugoslawien zu einem ständigen Unruheherd machten. Als Hitler schließlich anordnete, für jeden getöteten deutschen Soldaten 100 Zivilisten zu liquidieren, geriet auch die Wehrmacht endgültig in den Strudel von Massakern und Kriegsverbrechen - doch der Effekt blieb der gleiche: Alle drakonischen Maßnahmen stärkten letztendlich die Partisanen, insbesondere Titos kommunistische Armee, die auf 400.000 Mann anschwoll.

Als 1944 die "Blaue Division" aus dem Boden gestampft wurde, war der Krieg gegen die Partisanen längst verloren - und die Verfolger fanden sich schon bald selbst in Gefangenschaft wieder. Das Martyrium, das die Partisanen ihren Gegnern ihrerseits bereiteten, endete für manche offenbar irgendwann Mitte Mai 1945 auf einem Acker an der Bahnlinie Zagreb-Ljubljana. Und erst jetzt, fast 65 Jahre später, werden womöglich einige Schicksale von Vermissten, deren Spur sich in den Wirren des Frühjahrs 1945 auf dem Balkan verliert, aufgeklärt werden können.


Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung dieses Textes hieß es irrtümlich, Rijeka liege 170 Kilometer norwestlich des gefundenen Massengräber. Tatsächlich liegt die Stadt 170 Kilometer südwestlich. Wir danken für den Hinweis.

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