FDP Geisel der Neuen
In betretenes Schweigen verfielen die Delegierten des FDP-Parteitages in Suhl, als der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki bei den Wahlen zum Bundesvorstand zum zweiten Mal durchgefallen war. Dessen spezieller Parteifeind, der Bundesvorsitzende Otto Graf Lambsdorff, erbot sich, den Geschlagenen persönlich in einem dritten Wahlgang zu empfehlen - als Zeichen der »Versöhnung«.
Doch Kubicki wollte keinen faulen Frieden. Er akzeptierte die Strafe, die ihm der Parteitag zugedacht hatte, weil er an ein Tabu gerührt hatte: Kubicki bezichtigte den neuen Generalsekretär und einstigen Funktionär der Blockpartei LDPD, Uwe-Bernd Lühr, früher den Sozialismus »bejubelt« zu haben.
Das wollte der Betroffene nicht hören, seine Anhänger wollten es nicht akzeptieren.
Gern hatte die FDP bei der Vereinigung die gefüllten Kassen, die schönen Grundstücke und die zahlreichen Mitglieder von LDPD und auch NDPD übernommen. Die Bonner Parteiführung behauptet seitdem, schon früh hätten die Ost-Liberalen die Erneuerung ins Werk gesetzt - mit stolzem Ergebnis: »Die FDP hat keine Blockflöten-Probleme mehr«, so der Generalsekretär.
Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Die FDP-Spitze bemüht sich, eine unliebsame Diskussion zu unterdrücken. Mit der Vereinigung haben die Liberalen eine zweifelhafte Mitgift erhalten. Der gewaltige Mitgliederzuwachs aus den beiden ehemaligen Blockparteien entwickelt sich zur Hypothek: Sie zwingt die Partei zur Rücksichtnahme auf die einstigen Steigbügelhalter des SED-Regimes. Die FDP ist Geisel der Neuen aus dem Osten.
Vergessen sind die Bedenken aus den Revolutionstagen, ob die West-Liberalen sich mit den alten Blockparteien gemein machen oder lieber mit der neu gegründeten Ost-FDP fusionieren sollten.
Die bundesdeutschen Liberalen, voran Hans-Dietrich Genscher, fielen massenhaft zu Besuchsreisen in Ostdeutschland ein und brachten die Botschaft mit, daß Freiheit allein durch soziale Chancen garantiert werde.
Zugleich sollte die personelle Integration gefördert, mußten Ost-Liberale auf Posten gehievt werden. Ein schöner Erfolg: Der einstige LDPD-Funktionär Rainer Ortleb, inzwischen Bildungsminister, repräsentiert die neuen Bundesländer in der Parteispitze - der Ost-FDP-Gründer Bruno Menzel aber ist out.
Der bisherige Vize Gerhart Rudolf Baum wurde in Suhl nicht wiedergewählt. Dem Kölner Ex-Minister nahmen die Blockflöten übel, daß er sich von einem der Ihren distanziert hatte, vom ehemaligen DDR-Bauminister Axel Viehweger, der unter dem Verdacht stand, ein Stasi-Spitzel gewesen zu sein - und inzwischen aus der sächsischen FDP-Fraktion ausgeschlossen worden ist.
Erst allmählich trauen sich die einstigen Mitglieder der Ost-FDP, von denen nur wenige im Bundestag sitzen, Protest gegen die Übermacht der alten Funktionäre, im Parteijargon »rotgelbe Socken« genannt, zu erheben.
Menzel hat erkannt, daß er »zu blauäugig« war. Die Ehemaligen, vor allem aus der LDPD, hätten dagegen aus einem »gewissen Zusammengehörigkeitsgefühl« Seilschaften gebildet.
Die Alt-Liberale Hildegard Hamm-Brücher bedauert, daß die »nützlichen Idioten der SED« auch im Westen schon wieder obenauf sind: »Ich finde, daß wir die falschen Ossis promovieren.«
Burkhard Hirsch, ein anderer Querkopf der Liberalen, der selber einst aus Halle floh, mag ebenfalls nicht Nachsicht üben: »Wenn Opportunismus das Normale sein soll, was bin ich dann für ein dummer Hund gewesen.«
Querdenker und Jüngere drängen vergebens zur Aufarbeitung der Vergangenheit. »Wer den Mund aufmacht«, beschreibt Vorständler Guido Westerwelle die Stimmung, »kommt leicht in den Ruf eines Nestbeschmutzers.« Er hofft darauf, daß sich die Liberalen endlich besinnen: »Die Diskussion geht jetzt los.«
Das ist kaum zu glauben. Mit vielen Tricks versuchen zum Beispiel FDP-Rechte in Berlin, zusammen mit Unterstützung aus Bonn ein Ausschlußverfahren gegen einen der Schlimmsten, den Ex-LDPD-Chef und Honecker-Spezi Manfred Gerlach, zu verschleppen (SPIEGEL 31/1991).
Eine schwierige Lage: Kommt das Verfahren, für das Berliner FDP-Linke und Opfer der SED-Herrschaft gesorgt haben, nicht voran, wollen etliche Parteifreunde austreten. Wird Gerlach aber ausgeschlossen, haben ganze Kreisverbände, vor allem aus Mecklenburg-Vorpommern, mit Auszug gedroht.
Alte Funktionäre aus dem zweiten und dritten Glied sind inzwischen komfortabel untergekommen. Joachim Günther, LDPD-Kreisvorstandsmitglied aus Plauen, ist Parlamentarischer Staatssekretär bei Parteifreundin Irmgard Schwaetzer im Bonner Bauministerium. Gerlachs früherer Vize Hans-Dieter Raspe wurde von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung auf Posten nach Südamerika entsandt.
Auch in der Berliner FDP-Zentrale haben sich LDPD-Veteranen eingenistet. Ludwig Venus, der seinem früheren Vorgesetzten Gerlach rechtswidrig aus Parteibeständen einen Bungalow am Köriser See verschaffte, darf weiter die Ost-Parteibetriebe verwalten.
Schatzmeister Hermann Otto Solms läßt sich in der Auseinandersetzung mit Treuhand und Parteienkommission um das Blockpartei-Vermögen von seinem Bevollmächtigten Gunter Krüger vertreten. Der hatte ehedem als LDPD-Bezirksvorsitzender in Rostock gefordert, »den untrennbaren Zusammenhang von Sozialismus und Frieden noch stärker zum Leitmotiv des Handelns zu machen«.
Derlei Ergebenheitsadressen an den sozialistischen Staat haben auch Bildungsminister Ortleb nicht geschadet. Als wissenschaftlicher Oberassistent an der Technischen Universität Dresden war er auf dem Weimarer LDPD-Parteitag 1977 als NVA-Reservist in voller Montur ("Mein erstes Argument ist, für jeden sichtbar, die Uniform") aufgetreten, um im SED-Deutsch den Klassenfeind abzuwehren: »Die Konsequenz, die Kriegskunst zu trainieren, wird uns täglich von der imperialistischen Tat aufgezwungen.«
Als Kölner Liberale daran erinnerten, antwortete ihnen Parteichef Lambsdorff: »Für geschulte Ohren waren die leisen Zwischentöne und ironischen Bemerkungen deutlich vernehmbar.« Und er rügte: »Beckmesserische Kritik zu solchem Verhalten, schon gar aus dem Westen, ist unangebracht.«
Mit solchen Expertisen macht sich Lambsdorff unbeliebt. Das schlechte Ergebnis bei seiner Wiederwahl in Suhl - nur knapp 67 Prozent - hat auch damit zu tun. Der Versuch, die Diskussion über das DDR-Erbe abzuwürgen, führt zu Konsequenzen, die der FDP-Spitze wenig behagen - zu Kritik an der alten Bonner Garde, die nicht weichen will.
Lambsdorff darf zwei weitere Jahre Vorsitzender bleiben; soviel wurde ihm zugestanden. Und Genscher? Schon fragen Parteifreunde, heimlich vorerst, ob 1994 nach dann 20 Jahren Amtszeit nicht ein Wechsel im Außenministerium fällig ist.
»Das ist das Zentralproblem der FDP«, so ein Genscher-Freund, »die Alten hängen an der Macht, verschleißen sich immer mehr, und die danach kommen, machen sich gegenseitig kaputt.«
Genscher, der Mann mit der Witterung, spürt die Stimmung. Mißmutig stellte er fest, daß ihn etliche Liberale, und dazu der Bundeskanzler, ins Amt des Bundespräsidenten fortloben wollten. Letzte Woche entschloß er sich in einem Zeitungsbeitrag zur Klarstellung: »Ich habe es schon oft erklärt, aber ich will es noch einmal wiederholen: Ich stehe für das Amt des Bundespräsidenten unter keinen Umständen und zu keiner Zeit zur Verfügung.«
Genschers Spekulation: So kann er noch eine Weile ohne weiteres Personalgerede bleiben, was er schon so lange ist: Außenminister. o